piwik no script img

Corporate Identity forever

„Transnational, Intranational“: Das Laokoon-Festival auf Kampnagel Hamburg versucht einen neuen Blick auf nationale Befindlichkeiten

Das Fatale ist, dass es keinen klar ortbaren Schuldigen gibt. Dass sich die Globalisierung, an der sich ab morgen schon das dritte Laokoon-Festival auf Kampnagel Hamburg unter dem Dirigat von Hidenaga Otori abarbeitet, immer nur als Resultat von Kettenreaktionen präsentiert. Auch ist die Taufe des Phänomens lange nach seiner Geburt erfolgt: Die Kluft zwischen Arm und Reich ist nicht neu. Doch zur Gesetzgebung gegen Firmenabwanderung in Niedriglohn-Länder fühlt sich niemand aufgerufen; auch nicht gegen Europas Mauerbau. Und wie dem Gefühl des Überrolltwerdens einen Namen geben, das die neue Vernetzung beim Individuum erzeugt?

Schwierig auch, Globalisierungsfolgen in Festival-Motti zu pressen. Hidenaga Otori hat es trotzdem getan: „Geschichte und Gedächtnis im Zeitalter der Globalisierung“ hieß das erste von ihm geleitete Festival; „Cyborgs against the Empire“ das zweite. Von der Aneignung herrschender Kulturtechniken durch die Kolonisierten war darin die Rede. Wo die Nutzung von Strukturen in Anpassung umschlägt, verriet Otogi nicht.

Doch das machte nichts, denn immer war das Programm des internationalen Performance-Treffs undogmatisch bunt. So auch 2004:„Transnational, Intranational – Re-imagining the boundaries“ lautet der Titel des letzten Festivals unter Otoris Dirigat. Nationale Identitäten möchte er ergründen, ohne dem Ultranationalismus das Wort zu reden. Und so bleiben die Ensembles nicht lange im Identitäts-Gerangel stecken: „Sabenation, go home & follow the news“ heißt die neueste Produktion von Rimini Protokoll: Ex-MitarbeiterInnen der 2001 in Konkurs gegangenen Fluggesellschaft hat das Ensemble ins Visier genommen, hat die Nachwirkungen der Corporate Identity untersucht, ist den Arbeitsbiographien ehemaliger Angestellter nachgegangen. Und ein wenig haben solche Viten auch mit Prägung zu tun, die kaum zurückzuholen ist.

Ein Phänomen, dem sich auch das libanesische Maqamat Dance Theatre widmet: Obwohl Ratten ein Zeitungsarchiv stürmen, verblasst die Erinnerung an vergangenes Leid nicht. Wie können sich Jugendliche da als Nachkriegsgeneration definieren? Und die Tokyoter Jugend, der sich Nibroll widmet? Sucht Identität zwischen Tradition und Moderne. Oder ist dies eine Diskussion, die angesichts des Elends philippinischer Landarbeiter – Thema von New World Disorder – jede Relevanz verliert? Wie viele Schichten betrifft die Globalisierung; ist sie in der Essenz neu oder in der Dimension? Und gehört dies politisch oder spekulativ in Szene gesetzt?

Robert Lepage, klandestiner Star des Festivals, hat sich in „The Dragons‘ Trilogy“ für die Traum-Variante entschieden: Irgendwo China erfinden sich zwei Mädchen aus Quebec; es folgt eine schillernde Reise von Kanada nach Asien. Und schließlich wird sich das katalanische Ensemble La Fura dels Baus präsentieren: Anhand von „XXX“ nach de Sades „Philosophie im Boudoir“ wird es Akteure und Zuschauer fragen, wie viel Toleranz sie aufbringen für die Präsentation der angeblichen Perversionen der Eugenie. „Re-Imagining the Boundaries“ eben.

Petra Schellen

11.–29.8., Kampnagel Hamburg

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen