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: HELMUT HÖGE über Schrebergärten

Kleine Parzellen, kleine Leute, kleine Geschichten

Während der Sohn, Gerichtspräsident Daniel Paul Schreber, mit seinen „Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken“ und durch die Freud’sche Analyse seiner Paranoia berühmt wurde, ist sein Vater, Professor Daniel Gottlieb Moritz Schreber, wegen seiner Leipziger Grün- und Sportflächeninitiative für sozial benachteiligte Familien bekannt geworden. Daraus entwickelte sich die „Schrebergarten“-Bewegung. In Wien sprach man von „Heimgärten“, was auf Peter Roseggers gleichnamige Literaturzeitschrift zurückging.

Auch in Berlin gibt es eine Kolonie „Heimgarten“: am Steglitzer Munsterdamm 53. Sie feiert am 21. August ihr 100-jähriges Jubiläum – mit dem „Heimgarten-Quartett“ und eigenen, von den chinesischen, jugoslawischen, türkischen sowie deutschen Kleingärtnern zubereiteten Spezialitäten. Einer, der Kolonist Gerhard Niederstucke (Pfarrer i. R.), hat dazu eine „Festschrift“ im Steglitzer Christian Simon Verlag veröffentlicht.

Ihr kleiner „Garten Eden“ war wie das große Vorbild immer wieder bedroht: 1931 wurde ein Teil des Geländes planiert und es entstand dort eine „rauchfreie Siedlung“ (also Wohnungen, die nicht mehr mit Kohle und Holz, sondern mit Fernwärme vom Kraftwerk Teltow geheizt wurden). 1932 baten die verbliebenen 83 Vereinsmitglieder, die in ihrer Mehrheit arbeitslos geworden waren, das Bezirksamt, den Pachtzins von 6,5 Pfennig pro Quadratmeter auf 2 zu senken. 1934 wird ihnen eine Reduktion von 2,5 Pfennig bewilligt, gleichzeitig ist jedoch von einem „Stadtgruppenführer“ die Rede und dass die Laubenpieper fortan im „Reichsbund der Kleingärtner“ zusammengefasst sind.

Wenig später will man aus der Kolonie „Heimgarten“ gar ein paramilitärisches „Ertüchtigungsgelände“ machen.

Dieser Kelch ging jedoch an den Steglitzern – zusammen mit dem Dritten Reich – vorüber. Ihre Selbstversorgungsanlage wurde zunächst – nach 1945 – sogar noch aufgewertet: mit Hühner- und Kaninchenställen, während des Ersten Weltkriegs hielt einer dort sogar eine Kuh.

Aber 1972 beschließt das Bezirksamt den Bau eines Berufsbildungs-Oberstufenzentrums – und kündigt 64 Kleingärtnern ihre Parzellen – insgesamt eine Fläche von fast 40.000 Quadratmetern. Die verbliebenen 31 Mitglieder der Kolonie „Heimgarten“ verfügen danach nur noch über 8.780 Quadratmeter, wovon sie auch noch durch Abtrennung von Gartengelände acht gekündigten Mitgliedern neue Parzellen einrichten. Zwei der altruistischen Abtreter behalten sich aber bei einigen Obstbäumen bzw. -sträuchern ein „Mitpflückrecht“ vor: Man spricht deswegen in der Folgezeit vom „Helke-Apfel“ und von der „Hartlep-Brombeere“.

Die Berufsfachschule wird wegen Asbestverseuchung schon Mitte der Achtzigerjahre wieder geschlossen und 1995 abgerissen. Dafür entsteht dort zusammen mit einem Sportplatz ein noch größeres Oberstufenzentrum für Farbtechnik und Raumgestaltung, dem die „Heimgarten“-Kolonie als „Erweiterungsfläche“ dienen soll.

Dies kann jedoch der einst eher arbeiterlich und links orientierte Verein zusammen mit der Nachbarkolonie „Schutzverband“ (die von Beamten dominiert und einst „gleichgeschaltet“ war) verhindern.

Zwei „Heimgärtner“ traten nach dem Krieg der SED bei, wovon der eine, Gartenfreund Skubisch – er war bis 1933 Vorsitzender der Steglitzer SPD gewesen –, regelmäßig Urlaub auf der Krim machte. Der Gartenfreund Tworoger war dagegen in der CDU, Steglitzer Baustadtrat und Mitglied in der Jüdischen Gemeinde. Die Politik war und ist jedoch Privatsache bei den Laubenpiepern.

Deswegen kam es 1983 auch zu einem Konflikt, als der Sohn des Kolonisten Reiß die Parzelle in Abwesenheit seines Vaters zu einem „Friedensgarten“ umfunktionierte und dort Zusammenkünfte so genannter „Friedensfreunde – darunter Ausländer“ organisierte. Der Vereinsvorsitzende Hartleb wandte sich dieserhalb an seinen Steglitzer Bezirksverband sowie an die Rechtsabteilung des Landesverbandes der Kleingärtner. Letztere befand, dass solche Meinungsäußerungen auf den Parzellen gestattet sein müssten.

Der Chronist Niederstucke merkt dazu an, die vom Studenten Reiß damals veranlasste Diskussion in der Parzelle 1a sei „eine der vielen tausend kleinen Beiträge dazu gewesen“, dass die raketenbestückte Ost-West-Konfrontation nicht tödlich endete. Seine Chronik schließt mit einer Vorstellung der seitdem neu hinzugekommenen „Ausländer“ in der Kolonie „Heimgarten“ – und einem großen Gruppenfoto in Farbe.