Wo ich war, soll Kunst werden

Ruhm und Bewunderung – das bedeutet nicht mehr viel in einer Welt voller Superstars.Wer wirklich unsterblich werden möchte, muss sich in ein Kunstwerk verwandeln lassen. Oder? Ein Selbstversuch

VON MARTIN REICHERT

Ich werde Kunst. Der Pullover muss weg, das T-Shirt auch. Ich sitze mit nacktem Oberkörper auf einem Stuhl, der mit einem schwarzen Tuch verhüllt ist, und schwitze bereits, bevor es überhaupt losgegangen ist. Die Berliner Künstlerin Martina Thalhofer steht vor mir und richtet allerlei Gerät auf mich, eine Hasselblad-Mittelformat-Kamera und zwei Scheinwerfer mit surrenden Ventilatoren. Im Hintergrund läuft die Callas.

Worauf habe ich mich da bloß eingelassen, neulich im „La Cocotte“ bei einem Glas Rotwein zu viel. Die Thalhofer war scharf auf meinen kahl geschorenen Schädel, aber da ich normalerweise mein Geld mit dem Inhalt dieses Körperteils und nicht mit dessen Außenwirkung verdiene, hatte ich mich lange gesträubt. Außerdem bin ich bei meinem letzten und einzigen Casting schon in der zweiten Runde rausgeflogen, dabei ging es nur darum, den Weihnachtsmann für eine Promotion-Agentur darzustellen, noch nicht mal darum, „Superstar“ zu werden. Doch schlussendlich obsiegte der Alkohol, der gute Wille, die Zusage, dass ich meine Hose anbehalten darf, und die Eitelkeit: „Hey, du bist gerade 31 geworden, es wird Zeit für ein Shooting“, sagt ein Freund. Bevor der Lack ganz ab ist.

Ich hatte ihr meine Telefonnummer gegeben mit dem Hinweis „Modell ohne finanzielle Interessen“ – es war ohnehin klar, dass es keine Kohle gibt, es handelt sich ja um Kunst. Dafür gab es vor dem „Shooting“ etwas zu essen, Lasagne, serviert in dem Raum, der sich wenig später durch Zuziehen der schwarzen Vorhänge in ein Fotostudio verwandelte. Und selbstverständlich die Verheißung der Unsterblichkeit, wie sie Milan Kundera in seinem gleichnamigen Roman thematisiert: Die Protagonisten glauben nicht an die Unsterblichkeit der Seele, sie sehnen sich nach einer profanen Unsterblichkeit im Gedächtnis der Nachfahren.

Sie lacht. Ich werde mutiger

Jetzt vor der Kamera frage ich mich, ob ich nicht doch etwas zu dünn bin für diesen Job, ob ich nicht doch Mitglied in einem Fitness-Studio werden sollte. Entgegen der ursprünglichen Abmachung bin ich völlig nackt und am ganzen Körper rasiert. Überall. „Mach mal was“, sagt Martina Thalhofer und lacht mich an mit ihren großen grünen Augen. Ich lache mit und trinke noch einen Schluck Wein. Es ist beruhigend, dass die Künstlerin genauso verlegen und unsicher wirkt wie ich. Obwohl sie fast vierzig ist und bereits seit 14 Jahren als freischaffende Künstlerin arbeitet. Und doch: Wer weiß schon, wie die Wurst gemacht wird, und wer macht sich schon Gedanken, wie künstlerische Fotografien zustande kommen. So gab es in Berlin eine Ausstellung, in der ein nackter Muskelmann zu sehen war, der sich eine Gucci-Tüte über den Kopf gestülpt hatte und seinen erigierten Schwellkörper gut sichtbar an eine Wand presste. Eine Tüte würde ich mir ja noch über den Kopf ziehen.

Ich bewege meine Arme, halte meine Hände vor das Gesicht, biege meinen Hals nach hinten, zur Seite. Blicke geblendet in die Scheinwerfer. Die Fotografin schafft es jedoch nach kurzer Zeit, mir meine Unsicherheit zu nehmen. Sie ist begeistert von ihrem Motiv, und das steckt an: Ich werde mutiger, fange an mitzuspielen, variiere meine Posen. Und es macht Spaß, obwohl mir die Knie von der harten Tischplatte wehtun, auf die ich mich unter Anweisungen drapieren muss.

Martina Thalhofer hat gar kein Interesse an einem Fit-For-Fun-Körper, sie fotografiert mich nicht um einer werbeüblichen Ästhetik willen, und um Erotik geht es ihr höchstens als Nebenprodukt. Ich passe einfach aus ungeklärten Gründen in ihr Konzept, das da lautet „Paradise Lost“, und ich fühle mich angenommen. Körperliche Makel, die auszustellen ich mich schämen zu müssen glaube, werden später nicht mehr zu sehen sein, denn die Fotografin arbeitet mit einer verletzlichen Schutzhaut aus Wachs und Harz, mit der sie ihre Bilder überzieht. Diese Schicht ist auch gnädig, denn das eigentliche Objekt wirkt dadurch unschärfer, weicher. Eigentlich werde ich auch gar nicht identifizierbar sein auf den Bildern, denn der Künstlerin geht es um Ausschnitte, um Verfremdungen. Man wird Körperpartien sehen, die Landschaften gleichen.

Wir verabreden uns für den nächsten Tag, sie hat kein Auto und braucht jemanden, der ihr hilft, Material in ihr Atelier zu bringen. Die Pakete mit dem Wachs für den Überzug sind höllisch schwer, 20 Kilo pro Teil. Das Atelier liegt am Rande Berlins, in Pankow. Früher war der Backsteinbau mal eine Lederfabrik. Dass Künstler in ehemaligen Industrieanlagen arbeiten, weiß mittlerweile jedes Kind.

Im Atelier sieht es wüst und nach Arbeit aus, der Fußboden ist mit Wachsflecken übersät. Sie verbessert ständig das Material, experimentiert mit neuen Mischungen. Eine Rückenansicht von mir, eine auf Holzrahmen gezogene Farbfotografie, liegt gerade auf dem riesigen Heiztisch, die Schutzschicht muss mittels Wärmelampen gehärtet werden. Sie muss haltbar sein, denn das Bild ist für die Ewigkeit gemacht. Es soll einmal in einem Wohnzimmer oder, wer weiß, in einem Museum hängen, wo es von kommenden Generationen bestaunt werden wird, auch wenn ich schon lange unter der Erde liege – auch wenn ich keine Nachfahren hinterlassen haben sollte.

Beinahe war ich unsterblich

Später dann, bei der Vernissage in einer Galerie in Prenzlauer Berg, nannte man mich nur „der Hals“. Ich stand mit schwarzen Klamotten und unvermeidlichem Rotweinglas im Raum, und die Menschen glotzten abwechselnd auf die Bilder und auf meinen Hals. Eine Bekannte meinte später noch sarkastisch lächelnd: „Ach mein Lieber, du bist doch viel mehr als nur dein Äußeres.“ Es waren noch mehr Freunde da, alle in Schwarz, um mal zu gucken, wie es ist, wenn ich Kunst bin.

Der neue Lover einer langjährigen Freundin, ein Mediziner, rauschte kurz durch die Ausstellung und meinte nassforsch: „Der Typ auf dem Bild da hinten hat Probleme mit seinem Knie, der sollte mal zum Arzt.“ Gott sei Dank handelte es sich um ein anderes Modell. Der Herr Doktor hatte einfach keine Ahnung von Kunst, dabei hätte er nur den Worten der die Künstlerin preisenden Galeristin lauschen müssen: „Sie schafft Abbilder mittels der Fotografie, die sie bearbeitet und der sie eine weitere, eine transparente Schicht hinzufügt. Für ein Bild wählt sie einen oder zwei Ausschnitte des fotografierten Körpers, und zwar derart, dass zum einen das so Dargestellte – etwa der Mund, das Ohr, Hände oder der Schoß – eine Eigenständigkeit, ja Überhöhung erfährt und mit dieser Verfremdung zum Symbol oder zur Metapher wird.“ Die Worte der Galeristin hatten mich der Unsterblichkeit ein Stück näher gebracht und ich freute mich bescheiden in mein Rotweinglas hinein: Ich war tatsächlich Kunst geworden.

Auf dem Weg nach Hause, angenehm betrunken, begreife ich: Es ging gar nicht um mich und meine Unsterblichkeit, meine Eitelkeit. Martina Thalhofer hat mich einfach als Material für ihre Arbeit benutzt, und das ist gar nicht schlimm, denn sie hat etwas Bezauberndes geschaffen. Kunst.