Schröder kotzt, Müntefering klotzt

Auf der SPD-Fraktionsklausur greift der Kanzler die Grünen an und fordert von seiner eigenen Partei Disziplin. Die zentrale Figur in diesen Tagen ist jedoch Fraktionschef Franz Müntefering. Er ist es, der sich im Streit über die Gemeindefinanzen durchsetzt

aus Berlin JENS KÖNIG

Artikel 1 der inneren Verfassung eines sozialdemokratischen Abgeordneten lautet so: Er ist seinem Gewissen verpflichtet, insofern kann er auch Gesetzesvorhaben seiner Regierung kritisieren. Erscheint jedoch der Bundeskanzler und sagt Basta, dann hat der Abgeordnete ohne Widerspruch zu gehorchen.

Daran hat Gerhard Schröder wohl gedacht, als er Dienstagnachmittag in die Klausursitzung der SPD-Fraktion eilt, um seine Genossen wieder zu beruhigen, die sich da bereits seit Stunden den Frust über ihre Regierung von der Seele reden. Linke wie Michael Müller, junge Reformer wie Hubertus Heil, einfache Abgeordnete wie Erika Simm – sie alle kritisieren, was ihnen auch die Bürger in ihren Wahlkreisen in der Sommerpause an den Kopf geknallt haben: die harten sozialen Botschaften der Regierung, das Hü und Hott ihrer Minister, das Durcheinander von anscheinend unzähligen Gesetzen. „Es wäre krank, wenn eine Volkspartei, die seit einem Jahr bei nur 30 Prozent in den Umfragen steht, nicht so reagieren würde“, kommentiert der 30-jährige Hubertus Heil diesen kleinen Aufstand trocken.

Schröder versucht in zwanzig Minuten, Ordnung in ein Jahr Regierungschaos zu bekommen. Er mahnt Disziplin an („Streitet weniger untereinander, greift lieber die Union an“). Er kritisiert Wirtschaftsminister Wolfgang Clement für dessen Windenergie-Attacke gegen den grünen Umweltminister („Keine Ressortstreits über die Zeitung“). Er attackiert die Grünen, die, wie Parteichefin Angelika Beer mit ihrer Irak-Äußerung am Wochenende, Regierungs- und Oppositionspartei gleichzeitig sein wollten („Ich finde das zum Kotzen“).

Aber was Schröder auch immer sagt – den Unmut in seiner Fraktion kann er diesmal nicht eindämmen. Für Ruhe sorgt der Kanzler schon gar nicht. Das kann ihn mit Blick auf den Herbst, wo sieben große Reformprojekte im Bundestag zur Abstimmung stehen, alles andere als zufrieden stellen. Bei allen zentralen Themen der zweitägigen Klausur erntet die Regierung Widerspruch, mal mehr, mal weniger. Weniger Widerspruch – das betrifft die so genannten Hartz-Gesetze III und IV, wobei es in Probeabstimmungen dazu immerhin 7 bzw. 13 Gegenstimmen gab. Mehr Widerspruch – das betrifft vor allem die Gemeindefinanzreform. An den Plänen von Schröder, Clement und Finanzminister Eichel übt die Fraktion seit Wochen Kritik.

Hier liefert der Fraktionsvorsitzende Franz Müntefering „sein Meisterstück“, wie es einer seiner Zuarbeiter formuliert. Müntefering kassiert den Regierungsentwurf zur Gemeindefinanzreform, indem er dem Finanzminister eine Arbeitsgruppe seiner Fraktion vor die Nase setzt. Diese soll für eine finanzielle Besserstellung der Kommunen sorgen – und Eichel soll daran, bitte schön, mitwirken. Hinterher nennt Müntefering diesen in der SPD fast einmaligen Vorgang „völlig undramatisch“. Er hat den Streit deeskaliert.

Müntefering perfektioniert an diesem Mittwoch eine Rolle, die er schon seit Monaten spielt. Er ist der Einpeitscher der Fraktion ganz im Sinne seines Kanzlers – von Fall zu Fall aber ist er zugleich die Spitze der innerparteilichen Opposition. Da, wo es in der Fraktion Ärger über die Pläne der Regierung gibt, den Müntefering für berechtigt hält, sorgt er für Änderung – still, effizient, selbstbewusst. Er ist der Einzige im Inner Circle der SPD, der dem Kanzler widerspricht. Aber er tut es nie öffentlich. Am Montag im Parteirat hat Müntefering mit seiner Kritik an der Gemeindefinanzreform auch Schröder angegriffen. Aber er hat zugleich gesagt, wie das zu verstehen ist: „Ich werde die Fraktion niemals in einen Kampf gegen die eigene Regierung führen.“