Der Rübenbaron mit Rendite

Derzeit riegeln die Europäer nicht nur ihren Markt ab, Bauern übererfüllen regelmäßig ihre Quoten

aus Rehlingen HANNA GERSMANN

„Die Welthandelsrunde haben wir uns nicht gewünscht. So wenig Regen aber auch nicht“, sagt Bauer Henning Hornbostel. Der kräftige Mitvierziger steht gelassen zwischen seinen gut bewässerten Rüben auf einem Acker in der Lüneburger Heide. Er mag das Gejammer der anderen Rübenbauern nicht, die um ihre Existenz fürchten. Sie halten sich nicht für konkurrenzfähig, sollte künftig jedes Land Zucker frei handeln – wie es die Welthandelsorganisation WTO will. Hornbostel sich schon.

Er, eher Manager in Gummistiefeln als Bauer, gehört mit 200 Hektar Land zu den Großen, baut wie die meisten nicht nur Zuckerrüben, sondern auch Kartoffeln und Getreide an. Er lebt ganz gut – wegen der Rübe. Brüssel greift ihm wie den anderen 50.000 deutschen Rübenbauern unter die Arme. Die Zuckermarktordnung, ein Dinosaurier aus den Anfängen der Europäischen Gemeinschaft, garantiert Mindestpreise und Schutz vor billigen Importen. Der Verbraucher zahlt das durch überhöhte Preise – satte 6,6 Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich, hat der Europäische Rechnungshof errechnet.

Ach was, zu hohe Preise, meint Hornbostel: „Wir produzieren Zucker ökologisch, sozial und in hervorragender Qualität.“ Nur noch wenige Tage, dann geht es wieder los, die „Rübenkampagne“ der Uelzener Zuckerfabrik beginnt. Tag und Nacht werden die Landwirte der Umgebung ihre Rüben über die Landstraßen karren – bis kurz vor Weihnachten. Bauer Hornbostel wird rund 100 Lasterfuhren abliefern, 2.000 Tonnen, dreimal mehr als die meisten anderen. In der größten der 27 deutschen Raffinadefabriken, sie gehört zur Nordzucker AG, werden die Rüben dann gewaschen, zerschnetzelt und zu Brei verkocht. Mit Wasser werden die Zuckerkristalle rausgespült, die süße Lösung zu Dicksaft eingedampft. 100 Kilo Rüben geben 39 Kilo Zucker. Zucker aus Rohr lässt sich einfacher und billiger produzieren.

Hornbostels Rübenzucker ist dennoch konkurrenzlos. Zwar kostet Weißzucker in Europa dreimal mehr als auf dem Weltmarkt, der Import lohnt aber nicht. Wollten Süßwarenfabrikant oder Marmeladenproduzent Zucker einführen, müssten sie hohe Zölle zahlen. „Protektionismus der übelsten Sorte!“, schimpfen viele. Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) sähe die Zuckermarktordnung lieber abgeschafft. Anders als früher fordern heute aber nur noch wenige: „Nieder mit der Zuckermauer!“

Das freut Henning Hornbostel, hat aber auch einen handfesten Grund. Rudolf Buntzel-Cano vom Evangelischen Entwicklungsdienst EED sagt: „Eine völlige Liberalisierung wäre sozial wie ökologisch katastrophal.“ In Brasilien etwa profitierten nur Zuckermultis, Kleinbauern nicht.

Dann lieber Hornbostels Existenz und die anderer bäuerlicher Familienbetriebe sichern – findet auch der grüne EU-Agrarexperte Friedrich Wilhelm Graefe zu Bahringdorf. Er hält es „für unsinnig, die Zuckermarktordnung zu kippen“. Aber: Die Produktion müsse um bis zu 20 Prozent gedrosselt werden. Und: Europäische Rüben dürften nicht mehr zu Dumpingpreisen auf den Weltmarkt. Derzeit riegeln die Europäer nicht nur ihren Markt ab, Bauern übererfüllen ihre Quoten regelmäßig. Absichtlich meinen viele. Hornbostel wirft die Hände in die Luft, hält dagegen: „Zwanzig Prozent drüber oder drunter, das hängt doch vom Wetter ab.“ Drunter ist aber selten, und der subventionierte Überschuss landet zu Tiefstpreisen im internationalen Handel. So ist die EU der größte Weißzuckerexporteur der Welt, von den 15 Millionen Tonnen, die 2001/02 produziert wurden, brauchte sie nur 13,6 selbst.

Hornbostel meint: „Nicht die Europäer, die Brasilianer mit ihrem Plantagenzucker ruinieren die Preise.“ Und schließlich dürften schon die afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten (AKP) 1,6 Millionen Tonnen zu hiesigen Preisen in der EU verkaufen. Stimmt. Ist aber zu wenig, findet Graefe zu Bahringdorf. Er will den Anteil erhöhen. „Bloß nicht!“, warnt Hornbostel. „Sonst sind hier tausende ihren Job los.“ Egal wie die WTO-Ministerkonferenz entscheidet, EU-Agrarkommissar Franz Fischler muss die Zuckermarktordnung reformieren. Sie läuft 2006 aus. Er wird es mit einer mächtigen Lobby zu tun bekommen. „Zucker ist das vermachtetste Produkt“, sagt Buntzel-Cano vom EED. Bauern, Industrie und Lobby sind eng verflochten, der Markt ist unter wenigen aufgeteilt. Nordzucker kontrolliert Deutschlands Norden, Südzucker den Süden, Pfeiffer-Langen die Mitte.

Bauer Hornbostel ist sich sicher: Sobald Rübenquoten gekürzt werden, gibt es unter den letzten drei Bauern in seinem Dorf Rehlingen einen Konkurrenzkampf. „Jeder Quadratmeter Rübe weniger, heißt, wir brauchen drei Quadratmeter mehr Getreide.“ Hornbostels Hof wird größer werden.