Busenwunder und Blutgrätsche

Von einem deutschen Wort-Wettbewerb der besonderen Art: Der Composita-Cup

„Krokodilsträne, Zebrastreifen, Pferdelunge, Affentheater, Eselsbrücke, Schweinepriester“

Instinktsicher ergriff Wittvogel die Gelegenheit, klaubte einen fleckigen Bierdeckel vom Stapel und hackte im Rhythmus seiner Worte mit dem Kuli drauf. Er würde das ganz groß aufziehen. Glied für Glied die Wertschöpfungskette hin und zurück: „So jetzt passt mal auf: Die deutsche Sprache ist ja voll gesogen mit zusammengedengelten Substantiven. Wir nennen das Ding jetzt Composita-Cup.“

Wenn etwas, das er ein Projekt nennt, Wittvogel in visionäre Dimensionen katapultiert, gibt es kein Halten mehr. Als Signal würde er das Olympia-Stadion in Konrad-Duden-Arena umbenennen. „Ham wir auch gleich den ersten Sponsor.“ Ein weiterer Austragungsort könnte das Gebrüder-Grimm-Stadion sein. Die Namen der ultimativen Locations auf den Pappdeckel kritzelnd, dachte er schon über eine Hymne nach. Der Oldie „Ein Lied sagt mehr als tausend Worte“ wäre kontraproduktiv, es sei denn, man würde es ironisch verpacken, von Analphabeten präsentieren lassen oder so.

Endlich meldete sich Kroll, er habe ein Idee: „Die Teams werden vorher telefonisch von der Bevölkerung zusammengestellt, 49 Cent pro Anruf.“ Er wolle dem Publikum nicht vorgreifen – ob man vielleicht, das nur nebenbei, Brockhaus-Bände mit Goldschnitt verlosen solle? –, aber er denke an thematische Auswahlkriterien im weitesten Sinne: „Spinatwachtel, Pflaumenaugust, Gurkentruppe, Himbeertoni und Frühstücksdirektor spielen alle in derselben Mannschaft.“ Das sei immerhin ein Gedanke, wollte ich nun endlich einen Part in der Findungskommission übernehmen und legte nach: „Krokodilsträne, Ochsenschwanz, Zebrastreifen, Pferdelunge, Affentheater, Eselsbrücke, Schweinepriester … die sind gesetzt und spielen in der Vorrunde gegen deinen Obst-und-Gemüse-Salat.“

Wittvogel schrieb und schrieb, Schweißtropfen auf der Stirn, der zweite Deckel war übersät mit Hieroglyphen, der dritte. Er war zufrieden mit uns. Die Schnapsdrossel würde aber im alkoholisch zentrierten Team auflaufen, zusammen mit Schluckspecht, Weinschlauch und Bocksbeutel. Erwin, der Wirt, kam wie gerufen und lieferte Erfrischungen. Sein spontan geleisteter Beitrag musste damit zu tun haben, dass sein Laden „Vier Jahreszeiten“ heißt. Er wolle gern Schneekatastrophe, Frühlingsrolle, Sommerloch und Herbstzeitlose gemeinsam auflaufen sehen. Stolz nahm er das anerkennende Kopfnicken entgegen und trollte sich wieder.

Kroll fragte Wittvogel, ob man nicht eine Wild Card für hübsche Adjektive ausloben könnte: „Notgeil, hauchzart, gefühlsecht und kostengünstig zum Beispiel.“ Das könne man dann ja abwarten, von der Resonanz abhängig machen, gab sich Wittvogel gönnerhaft. Er halte aber im Moment – „sei mir nicht böse, Kroll“ – ein paar Körper-Komposita für dringender: „Busenwunder, Hüftgold, Herzkasper, Ohrenbeichte, Gehirnwäsche, Nierentisch, Arschbombe, so in der Richtung. Meinetwegen noch die Seelenverwandtschaft als Kontrast.“ – „Und das Kopfsteinpflaster?“, warf ich superklug ein. Wittvogel ließ sich nicht provozieren. „Das kommt zusammen mit dem Schongang, der Schandmauer und der Steinschlagader zur Auslegeware.“ Kroll murmelte schon seit einer Weile Florales vor sich hin. Ich hörte genauer zu: „Pissnelke, Rosenkavalier, Stiefmütterchen … Gürtelrose passt schlecht, dann wäre die Rose doppelt.“ Über solche Grenzfälle müsse man später nachdenken, fand auch Wittvogel, der sich kurz darauf und völlig zu Recht wunderte, dass wir im Sportiven auf nichts Besonderes stießen: „Blutgrätsche, Fußballgott, Besenwagen, Viererkette … ja doch, geschenkt“, das könne aber nicht der Weisheit letzter Schluss sein.

Dennoch hatte es den Anschein, als ob wir mit unserem Latein am Ende waren. Ich probierte es noch mit Süßigkeiten wie Fruchtzwerg, Milchschnitte, Überraschungsei und Wundertüte, was Wittvogel matt zur Kenntnis nahm und die Mogelpackung zufügte. Die passe irgendwie, aber wenn man die entsprechenden Firmen als Premium-Partner gewinnen wolle, müsse man sie wieder streichen.

Es wurde immer ruhiger. Ab und zu fiel noch ein Wort und gab das andere – Safttütenpfand, Schreckschraube, Türluftschleieranlage, Schwerverbrecher, Leichtmatrose –, Wittvogel schnörkelte vollends Unleserliches vereinzelt auf den Karton. Dann sah er sich plötzlich genötigt, in Frage zu stellen, ob Kroll, „wenn’s dann an die große Kohle geht“, im Projektteam überhaupt mitmachen könne: Einsilbige Namen wären doch wohl ein schlechtes Omen. Die Luft war raus.

Als Erwin die überübernächste Runde brachte, beantragte er, die Schneekatastrophe auf seiner Kandidatenliste lieber gegen das Blitzeis zu tauschen, er habe nochmal drüber nachgedacht. Wir wussten zuerst gar nicht, wovon er redete, wir waren inzwischen schon ganz woanders.DIETRICH ZUR NEDDEN