american pie
: Mehr Live-Sport, weniger Pathos

Der US-Fernsehkonzern NBC hat seine Olympiaberichterstattung komplett umgekrempelt und berichtet von den Spielen aus Athen rund um die Uhr

Olympia ist doch eine tolle Sache, dachte man sich nach den erfolgreichen Spielen 1984 in Los Angeles beim Fernsehsender NBC und setzte alles daran, der Olympiasender schlechthin in den USA zu werden. Das ist ohne Zweifel gelungen, und jetzt bei den Spielen 2004 in Athen holt NBC mit der „intensivsten Olympia-Berichterstattung der Geschichte“, wie es auf der Website heißt, zum großen Rundumschlag aus. 1.210 Stunden Olympia werden auf den sechs Kanälen des Network gesendet, rund um die Uhr wird der Sportfreund bedient. In Atlanta 1996 sendete NBC lediglich 165 Stunden.

Seit Seoul 1988 überträgt nur noch NBC die Sommerspiele, nachdem man zuvor schon 1964 in Tokio und 1980 in Moskau am Start war. Die Winterspiele kamen 2002 hinzu. Nachdem 1994 die Berichterstattung über das Eiskunstlaufen der Frauen und die Eisenstangenaffäre mit Tonya Harding und Nancy Kerrigan in den Hauptrollen beim Konkurrenten CBS höhere Einschaltquoten erreichte als jede Super Bowl, tat man bei NBC alles dafür, dem Rivalen auch diese Domäne abzujagen. Der war darüber nicht unglücklich, denn sein letzter Olympiaeinsatz 1998 in Nagano war ein ziemlicher Flop bei den Zuschauern in den USA.

So richtig großartig lief es aber auch bei NBC nicht. Vor allem die heftige Kritik an der Art der Berichterstattung machte den Verantwortlichen zu schaffen: zu pathetisch, zu sentimental, zu nationalistisch, zu wenige Live-Übertragungen. Dominiert wurde die Berichterstattung bei NBC von kleinen Soap Operas über leidgeprüfte Sportler, vom Krebs gezeichnete Eltern, ermordete Geschwister oder sonstige Schicksalsschläge, die einen Athleten so treffen können. „Manchmal kommen mir selbst die Tränen, wenn ich die Manuskripte lese“, sagte Dick Enberg, der Produzent dieser Features. Die zeitversetzten Übertragungen der wichtigsten Wettkämpfe wurden endlos in die Länge gezogen durch besagte Rührfilmchen, unzählige Werbeunterbrechungen, immer neue Teaser, eingeschobene Interviews. Die meisten Wettkämpfe kamen bei NBC oft erst viele Stunden später, wenn wahre Interessenten das Resultat längst wussten. Live-Übertragungen von Ballspielen gab es erst nach zwei Uhr nachts, und bei den Winterspielen von Salt Lake City 2002 ging es tagelang fast bloß noch um Skategate, den Eislaufskandal mit den Kanadiern Sale/Pelletier in den Hauptrollen.

Das wird nun alles anders. Die schlechten Quoten bei Sydney 2000, die niedrigsten seit denen von ABC bei Mexiko 1968, haben die Verantwortlichen alarmiert. Schließlich hat sich NBC bereits für stolze 3,7 Milliarden Dollar die Rechte der Olympischen Spiele 2006, 2008, 2010 und 2012 gesichert. „Sie haben nicht nur in die Spiele investiert“, sagt ein Sportvermarkter, „sie hängen auch daran fest.“ Die Prime-Time-Sendung auf NBC bleibt allerdings beim neuen Konzept weitgehend unverändert. Sie bietet Aufzeichnungen der Highlights des Tages aus amerikanischer Sicht – Schwimmen, Turnen, Leichtathletik – und soll mehr als 80 Prozent der Werbeeinnahmen liefern – erwartet wird eine runde Milliarde Dollar. Eingebettet sind die populären Late-Night-Shows von Jay Leno und Conan O’Brien, gleichzeitig soll Olympia als Vehikel für den schwierigen Herbst dienen, wo der Sender erstmals seit vielen Jahren ohne die ausgelaufenen Kultserien Friends und Frasier auskommen muss. Die Olympiaberichterstattung kann ausgiebig zur Bewerbung der Nachfolgeshows genutzt werden.

Komplett verändern wird sich die Berichterstattung durch das Programm auf den anderen Kanälen des Unternehmens. USA Network wird sich vorwiegend den US-Sportlern widmen, CNBC dem Boxturnier, MSNBC und Bravo liefern eine bunte Mischung von diversen Randsportarten sowie Tennis, das spanischsprachige Telemundo zeigt vor allem Live-Fußball, beginnend mit dem heutigen Männerspiel Mali – Mexiko. Der Anteil der Live-Berichterstattung ist immens gewachsen, viele Basketball, Volleyball- oder Frauenfußballspiele, aber auch Disziplinen wie Rudern oder Turmspringen sind live und in voller Länge zu sehen, während es früher meist nur Highlight-Zusammenschnitte gab.

Auf diese Weise will man insgesamt mehr Zuschauer gewinnen, auch wenn die schlechte Prime-Time-Quote der Sydney-Spiele vielleicht sogar noch unterschritten wird. Die Zahl der Kabelkanäle ist in den letzten vier Jahren von 60 auf 100 gestiegen, auch wird im August weniger ferngesehen als im September. Außerdem ist die Zahl der Fernsehzuschauer generell seit 2000 um zehn Prozent gesunken. Experten prognostizieren, dass NBC zur Prime-Time mit etwa 50 Prozent des Fernsehpublikums rechnen kann. Einer Sache können sich diese Zuschauer trotz aller Innovationen sicher sein: Auf ihre gewohnten Sportler-Soaps müssen sie auch diesmal nicht verzichten.

MATTI LIESKE