Der rheinische Nick Hornby

Ein in die Magie und die Verzauberungsmacht der Musik vernarrter Menschenforscher: Dietmar Sous zeigt in seinem neuen Prosaband „Vormittag eines Rock ’n’ Roll-Beraters“ das Spannungsverhältnis von Musik und Verführung

Acht Bücher gehen inzwischen auf das Konto des 1954 im rheinischen Stolberg geborenen und in Belgien lebenden Schriftstellers Dietmar Sous; Romane wie „Himmel der Liebe“, „Abschied vom Mittelstürmer“ oder sein rheinischer Reigen „Schöne Frauen“ aus dem Jahr 2000, in dem er einer Hand voll Frauen in die Seelen blickte – und wie nebenbei den alltäglichen Geschlechterkampf in seiner aberwitzig-theatralischen Dimension darzustellen verstand.

So erschrieb sich Sous über die Jahre den Ruf eines mit Sinn fürs Komische erzählenden Realisten, dessen allesamt im Kleinbürgertum wurzelnde Geschichten vor allem eines verbindet: der genaue und oft entlarvende Blick ihres Schöpfers für die oftmals große innere Zerrissenheit der von ihm stets liebevoll ins Visier genommenen Figuren. Das Resultat sind auf den ersten Blick schäumend-fröhliche Erzählungen, die sich aber bei genauerer Betrachtung als hoch aufgelöste Nahaufnahmen von Menschen erweisen, die aus mangelnder Zivilcourage oft das kleine stete Unglück dem großen unwägbaren Glück vorziehen.

Dabei hat man stets das bezwingende Gefühl, einen Musikfilm zu sehen, denn regelmäßig sind die vorüberflatternden Bilder begleitet von zwar entfernt, aber deutlich wahrnehmbarer Hintergrundmusik: ein Küchenradio, das einen Song von Eric Clapton bringt, während zwei um die Fortdauer ihrer ins Trudeln geratenen Liebe ringen; ein Kassettenrekorder, der einen Sinatra-Klassiker spielt und einem Verlassenen die Trauer versüßt.

Dietmar Sous ist ein unrettbar in die Magie und die Verzauberungsmacht der Musik vernarrter Menschenforscher, der offenbar nicht anders kann, als jede seiner Geschichten im Lichte eines großen Pop- oder Jazz-Songs zu inszenieren. Zu den sonderlich viel beachteten Autoren hat Sous es damit nicht gebracht, doch seine Bücher zirkulieren unter Eingeweihten mit der anhaltenden Strahlkraft seltener Vinylscheiben. Herrschte nur ein Funken Gerechtigkeit, gebührte dieser verkappten Musikerseele längst der Titel eines rheinischen Nick Hornby. Wenn einer das Zeug dazu hat, den noch immer ausstehenden, ultimativen deutschen Musikroman zu schreiben, dann Dietmar Sous.

Sein neues Buch „Vormittag eines Rock ’n’ Roll-Beraters“, eine Sammlung lose miteinander verknüpfter Erzählungen, ist ganz der Liebe ihres Schöpfers zu Größen wie Mick Jagger, Ray Charles oder Miles Davis geschuldet; neun Erzählungen, die das musikgeschichtliche Wissen dieses Autors mit seiner ungezügelten Fabulierlust in Deckung bringen und dabei verschlüsselt autobiografische Stationen des in wechselnden Rollen auftretenden Ich-Erzählers entrollen.

Sous zeigt uns seinen Film der frühen Jahre, gewährt uns mal betörende, mal burleske Einblicke in einen Alltag zwischen Spießertum und maulheldenhaftem Revoluzzergehabe, in dem die ersten Akkorde einer Beatles-Melodie selbst die Schrecken vor dem scheinbar unmittelbar bevorstehenden dritten Weltkrieg für ein paar Minuten zu bannen vermögen.

Diese lakonisch-knappen und niemals sentimentalen Momentaufnahmen sind so luftig und erinnerungsleicht, dass man ihre Kürze bisweilen regelrecht bedauert; hinreißende Geschichten, die jede auf ihre Weise das bestehende Spannungsverhältnis von Musik und Verführung zeigen. Und die zuweilen einen Ton anschlagen, der oft so herrlich knisternd ist wie eine verschrammte, von einem alten Dual-Safir abgetastete Single von den Kinks oder Shocking Blue.

PETER HENNING

Dietmar Sous: „Vormittag eines Rock ’n’ Roll-Beraters. Empfehlungen für das Aufnehmen von Kassettenbändern für Verliebte.“ Rotbuch Verlag, Hamburg 2004, 126 Seiten, 14,90 Euro