Islamunterricht an der Schule

Kinder brauchen Antworten: Warum dürfen kleine Muslime nicht, was kleine Christen dürfen?

Seit Beginn des neuen Schuljahres erhalten muslimische Kinder in Niedersachsen und Bremen Islamunterricht an der Schule. Von staatlichen Lehrern. Über deren Ausbildung, Qualifikation und Lehrplan wird noch eifrig gestritten.

Allah hat euch alle lieb
An acht niedersächsischen Grundschulen startet derzeit der Pilotversuch Islamunterricht – auf deutsch. Erstklässler lernen über die Kindheit des Propheten, den Ramadan und Toleranz. Ein Lehrplan soll „schwierige“ Deutungen der Religion verhindern
aus Hannover Kai Schöneberg

„Große, Kleine, Dicke, Dünne – Allah hat euch alle lieb“, singen Kaan, Özge, Mustafa und die anderen Knirpse, mit denen die Lehrerin gerade Namenssterne aus Papier gebastelt hat. Es herrscht eine schöne und unschuldige Stimmung an diesem Morgen in Raum 16 der Salzmann-Grundschule in Hannovers Stadtteil Linden.

Und doch sind wir Zeuge eines der großen Bildungs- und Integrationsexperimente unserer Zeit. Demnächst stehen für Tünay Özrecber die Kindheit des Propheten, der Ramadan und die Toleranz auf dem Stundenplan für die erste Klasse in Islamkunde. Die 23-jährige Lehrerin ist damit eine der ersten in Deutschland, die an staatlichen Schulen islamischen Religionsunterricht in deutscher Sprache gibt, die Salzmannschule eine von acht Schulen, in denen Niedersachsen das Fach Islamkunde innerhalb des Stundenplans ausprobieren will. Während die 13 kleinen Muslime in Hannover zwei Stunden pro Woche eine Einführung in den Islam erhalten, haben ihre Kollegen in der ersten Klasse also auch „Reli“-Unterricht, aber den evangelischen. „In diesem Stadtteil haben wir die Integration leider noch nicht vollständig erreicht“, sagt Marion Frontzek, Leiterin der Grundschule, über den Arbeiter-, Studenten- und Multikulti-Kiez Linden. Aber: Mit der Islamkunde könne man „da ein gutes Stück weiter kommen“, sagt Frontzek. Von den 320 Kindern an der Grundschule mit Orientierungsstufe sind fast die Hälfte Ausländer, davon wiederum 120 mit türkischen Eltern. Frontzek: „Wir sind eine Zwei-Nationen-Schule.“

Bislang gibt es in Niedersachsen nur das Fach Landeskunde mit religiösen Themen – in der Muttersprache. „Da sind auch Lehrkräfte gekommen, die kaum Deutsch gesprochen haben“, erzählt Frontzek. Das neue Fach habe durch den deutschen Lehrplan „einen anderen Stellenwert“. An der Planung der Lehrinhalte haben sich Vertreter sunnitischer und schiitischer Gruppen beteiligt. Nur die Aleviten machten nicht mit, ließen aber immerhin zu, dass auch ihre Kinder teilnehmen dürfen. In Schleswig-Holstein scheiterte ein ähnlicher Anlauf sogar, weil die verschiedenen muslimischen Konfessionen nicht gemeinsam an einen Tisch zu bringen waren. In Hamburg betont ein Sprecher des Kulturressorts, ähnliche Angebote seien „nicht angedacht, weil die Lehrkräfte eine schwierige Deutung des Islam unterrichten könnten.“

Um genau dieses Problem zu umgehen, gibt es in Niedersachsen den Lehrplan. Danach lernen Erstklässler nun, was „Miteinander leben“ oder „Familie“ im Islam heißt. Auch ein Kirchen- und ein Moscheebesuch stehen auf dem Programm. „Wir vergleichen die Religionen, lernen im Unterschied zur Koranschule aber keine Suren auswendig“, erklärt Lehrerin Özrecber. 40.000 Schüler im Land sind muslimischen Glaubens – oder vier Prozent. „Wir sehen in dem Projekt einen Beitrag zur Integration“, sagt der Sprecher von Kultusminister Bernd Busemann (CDU), Georg Weßling. Wenn die vierjährige begleitende Evaluation positiv verlaufe, werde Niedersachsen bald flächendeckend Islamkunde anbieten, auch an den weiterführenden Schulen.

Viele Eltern beäugen das neue Fach noch etwas argwöhnisch. „Die haben Angst, dass es ein Durcheinander der Religionen gibt“, erzählt Nuran Düzendi, die ihre Aysa im neuen Unterricht angemeldet hat. Andere muslimische Väter und Mütter fürchteten, dass „andere Religionen vielleicht attraktiver sind“, sagt sie und erklärt die Sache mit dem Schweinefleisch. Warum dürfen kleine Muslime nicht, was kleine Christen dürfen? Das sei verdammt schwer zu erklären. Aber auch hier erhofft die 32-jährige Mutter Hilfe von der Schule.

Auch wenn Düzendi selbst Kopftuch trägt und ihren älteren Sohn zur Koranschule schickt, findet sie es „gut, dass die Kinder jetzt etwas über andere Religionen erfahren.“ Und gleichzeitig deutsch lernen. Düzendi: „Früher hatten die Kinder, die aus der Türkei kamen, nur türkische Freunde.“