Verfeinerter Stil

Das Metropolis Kino zeigt Filme aus der bislang noch recht unbekannten Kinometropole Taiwan

von ECKHARD HASCHEN

Auch wenn nur sehr wenige seiner Filme im Kino angelaufen sind ist das taiwanesische Kino schon seit einigen Jahren mehr als Geheimtipp unter Cineasten. Hat der Inselstaat mit dem schwierigen Verhältnis zur Volksrepublik China doch in Hou Hsiao-hsien und Edward Yang in den achtziger und Tsai Ming-liang in den neunziger Jahren Regisseure hervorgebracht, deren Filme immer wieder auf den großen internationalen Filmfestivals ausgezeichnet werden. Frei von kommerziellen Zwängen konnten und können sie nach dem europäischen Modell des Autorenfilms ihre Themen, die immer wieder die wechselvolle Geschichte ihres Landes reflektieren, und ihre individuellen Stile von Film zu Film verfeinern.

Neben einigen Klassikern der genannten Regisseure enthält die vierzehn Filme umfassende Retrospektive im Metropolis, die heute startet und bis zum 30. September dauert, auch Arbeiten von bisher eher unbekannten Regisseuren. So ist etwa Chang Tso-chi mit zwei Filmen vertreten, die sich durch ein besonderes Gespür für die Gefühlslagen Jugendlicher auszeichnen.

In The Best Of Times, der zur Eröffnung läuft, erzählt er von zwei Cousins, die sich in einem heruntergekommenen Vorort Taipehs als Handlanger für einen Gangster verdingen und deren „beste Zeit“ abrupt endet, als sie eher zufällig einen Schuldner erschießen. In dem ebenfalls überwiegend mit Laiendarstellern gedrehten Darkness And Light ist es eine 17-Jährige, die als einzige Sehende in einer Familie von Blinden früh Verantwortung übernehmen muss. In beiden Filmen ist es Changs scheinbar beiläufige, dem Zuschauer alle Freiheiten lassende Erzählweise, welche die Figuren so plastisch werden lässt.

Hat man von Hou Hsiao-hsien vor allem Eine Stadt der Traurigkeit im Kopf, in dem in epischer Breite die Wechelwirkungen zwischen privater und großer Geschichte erkundet, so staunt man nicht schlecht, mit welcher Lust er nun in Millenium Mambo in die Welt der Nachtclubs und Bars von Taipeh eintaucht. Als wolle er Wong Kar-wei zeigen, dass er es auch kann, hat er seinen charakteristischen Stil der langen, ruhigen Einstellungen hier zugunsten eleganter Kamerafahrten und Schnitte plus Techno-Soundtrack aufgegeben, um so dem Zauber der Nacht zu huldigen.

Scheint durch Hous Filme immer wieder die Suche nach verloren gegangenen Idealen hindurch, so ist Edward Yang, von dem drei Filme zu sehen sind, mehr daran interessiert, zu zeigen, wie die Menschen im Hier und Jetzt ihre Probleme lösen. Ein Kritiker hat ersteren gar mal als John Ford und letzteren als Howard Hawks des taiwanesischen Films bezeichnet. So reflektiert Yang in A Brighter Summer Day die taiwanesische Identität in Form eines Sittenbildes des Taipehs der frühen sechziger Jahre mit den ganz unterschiedlichen Aktivitäten eines 13-jährigen Jungen und seiner Familie als Zentrum. Die Aufbruchstimmung dieses Films ist in Mahjong von 1996 angesichts des Turbokapitalismus und der Jagd der Menschen nach den transnationalen Dollars einer Desillusionierung gewichen. In der Familienchronik Yi Yi sind die Brüche in der Tradition zwar nicht so hart, aber deutlich sichtbar.

Vollkommen im Heute angekommen ist man bei den Filmen von Tsai Ming-liang, dem idiosynkratischen Erforscher der Einsamkeit. Mit seinem nicht weniger eigenwilligen Stil als der Hous und Yangs entwirft er in What Time Is It There ein Geflecht, in dem jede der Figuren in ihrer persönlichen Zeitzone gefangen zu sein scheint. Wenn sich der Held in Taipeh Truffauts Sie küssten und sie schlugen sich auf Video ansieht und dann die Heldin des einen Films auf einem Pariser Friedhof dem deutlich gealterten Hauptdarsteller des anderen, Jean-Pierre Leaud, begegnet, wähnt man sich fast in einer Art Twilight Zone.

Eröffnung mit „The Best Of Times“ und Gästen: heute, 20 Uhr, Dammtorstraße 30a. Das weitere Programm unter www.metropolis-hamburg.de