Die rumänische Verspätung

In Rumänien tritt eine Generation junger Filmemacher aus dem Schatten der lokalen Filmbürokratie ebenso wie dem der Hegemonie des amerikanischen Kinos heraus. Das Zeughaus zeigt ihre hier viel zu selten gespielten Filme im März

VON BERT REBHANDL

Der letzte Weg von Dante Remus Lazarescu beginnt an einem frühen Samstagabend mit einem Anruf. Er hat starke Kopfschmerzen. Das Aspirin, das er einnimmt, erbricht er wieder. Dem „Fräulein“ von der Rettung trägt er seine Beschwerden vor. „Ich glaube nicht, dass es vom Magen kommt.“ Er nennt seine Adresse, und dann wartet er.

Herr Lazarescu erbricht Blut. Ein Nachbar ruft die Rettung. „Er trinkt ein bisschen“, hört man ihn eine Frage beantworten, die zur Routine zu gehören scheint. Herr Lazarescu muss plötzlich dringend auf die Toilette. Im Badezimmer finden ihn die Nachbarn auf dem Boden. Gemeinsam warten sie auf die Rettung. „An einem Samstag!“

Der Filmtitel „Der Tod des Herrn Lazarescu“ lässt über das Ende der Geschichte keinen Zweifel. Regisseur Cristi Puiu erzählt mit minimalen Sprüngen in einer Montage, die nahe an der Realzeit ist. Von Samstagabend bis Sonntagmorgen verläuft diese Fallgeschichte. Herr Lazarescu wird im Verlauf dieser Nacht immer mehr zu einem Objekt, zu einer „armen Seele“, abhängig von der Gnade, die ihm die Institutionen gewähren. Nebenbei wird diese Geschichte so auch zu einem Protokoll, in dem die Möglichkeiten der Mitmenschlichkeit in einer postkommunistischen, verwalteten Gesellschaft verzeichnet werden.

„Der Tod des Herrn Lazarescu“ ist nur einer in einer ganzen Reihe rumänischer Filme aus der jüngeren Zeit, die zu Recht große internationale Anerkennung gefunden haben. Grund genug für das Zeughaus Kino im Deutschen Historischen Museum, dem Land bis Ende März eine Filmreihe zu widmen – am Dienstag wird sie mit kürzeren Filmen von Catalin Mitulescu und anderen eröffnet.

Ob Cristi Puiu mit „Der Tod des Herrn Lazarescu“, Corneliu Porumboiu mit „12:08 Östlich von Bukarest“, Cristian Nemescu mit „California Dreamin’ (Endless“) oder Catalin Mitulescu mit „Wie ich das Ende der Welt verbracht habe“ schon eine „neue Welle“ bilden oder es sich dabei nur um eine eher zufällige Konjunktur handelt, ist offen. Die zunehmenden Verflechtungen im globalen Koproduktionskino erlauben es hier einer Generation, aus dem Schatten der lokalen Filmbürokratie zu treten und die nationale Kinematografie gleich in mehrfacher Hinsicht zu emanzipieren – vom schalen Kommerzialismus, der die offiziösen rumänischen Filme bestimmt, wie von der Hegemonie des amerikanischen Kinos.

Das interessanteste (weil besonders kontroverse) Beispiel ist wahrscheinlich „California Dreamin’ (Endless)“ von Cristian Nemescu. Der Regisseur starb kurz nach Fertigstellung des Films bei einem Verkehrsunfall, noch keine dreißig Jahre alt.

Auf dem Nebengleis

In der Provinzstadt Capalnita kommt 1999 ein Zug an, der in geheimer Mission unterwegs ist. Ein Radarsystem soll in den Kosovo gebracht werden, um die amerikanische Luftwaffe im Krieg gegen Serbien zu unterstützen. Je ein Trupp amerikanischer und rumänischer Soldaten begleitet den Zug, nur die entsprechenden Zollpapiere fehlen, sodass sich der lokale Bahnhofsvorsteher genötigt sieht, dem Zug die Weiterfahrt zu verweigern.

Er wird auf ein Nebengleis geschoben, von den folgenden Tagen der Wartezeit erzählt „California Dreamin’ (Endless)“. Dabei wird eine klassische Konstellation des Neorealismus erkennbar: In der Begegnung mit den G.I.s kann Nemescu überprüfen, was die Rumänen aus ihrer Freiheit gemacht haben. 1989 wird durch 1945 gelesen. Rumänien hat sich 1989 keineswegs vollständig befreit, und das ist das eigentliche Thema der „neuen Welle“: ihre eigene „Verspätung“ wie die der gesellschaftlichen Modernisierung.

In „12:08 Östlich von Bukarest“ von Corneliu Porumboiu werden die Mythologien der Revolution auseinandergenommen. Der Moderator einer lokalen Fernsehstation (gleichzeitig deren Eigentümer) verbringt den ganzen Morgen damit, die Gäste für eine nachmittägliche Talksendung zum 16. Jahrestag der Revolution zusammenzubekommen. Herr Piscoci und Herr Manescu sollen als „Augenzeugen“ von den Ereignissen am 22. Dezember 1989 erzählen, wobei die Uhrzeit 12:08 mittags deswegen von entscheidender Bedeutung ist, weil das Fernsehen um diese Zeit die Flucht des Diktators Nicolae Ceaușescu zeigte und es danach nicht mehr eigentlich „revolutionär“ und riskant war, auf die Straße zu gehen.

„12:08 Östlich von Bukarest“ endet mit einem Bild des leeren Stadtplatzes – es hatte während der Sendung als Hintergrund gedient, nun wird es als „revolutionäre Szene“ ohne Protagonisten erkennbar, als eine Tabula rasa, die erst mit Erzählungen zu füllen ist. Das rumänische Kino hat damit längst begonnen.

Am 3. März, 20 Uhr, startet die Rumänienreihe im Zeughaus mit „Apartamentul“ von Constantin Popescu u. a.