Tückischer Lorbeer

In einer ungewohnten Rolle starten die deutschen Basketballer heute in die EM: als Mitfavoriten

BERLIN taz ■ „Die vermeintlich Kleinen werden versuchen, uns zu ärgern, so wie wir das früher versucht haben.“ Ein Satz von Mithat Demirel, der ziemlich gut zusammenfasst, welchen Weg die deutschen Basketballer zurückgelegt haben. Italiens Nationaltrainer Carlo Recalcati ernannte sie sogar nicht nur zum Favoriten für die heute in Schweden beginnende EM, sondern gleich noch zum Olympiafavoriten. Eine tückische Bürde.

Von der besten Mannschaft des Deutschen Basketball-Bundes (DBB) seit 1993 ist allenthalben die Rede, seit dem sensationellen EM-Gewinn von München also. In Wirklichkeit handelt es sich um das beste DBB-Team aller Zeiten – wenn Dirk Nowitzki mitspielt. Ohne den NBA-Star sind Demirel und seine Mitstreiter zwar immer noch in der Lage, „jeden Gegner in Europa zu schlagen“, so der kleine Spielmacher von Alba Berlin, aber als Titelaspiranten würde sie niemand bezeichnen. So wenig wie die späteren Europameister 1993, zu denen es einige Parallelen gibt. Auch diese hatten mit einem NBA-Spieler, Detlef Schrempf, zusammengespielt und sich bei ihrem starken Olympia-Auftritt 1992 in Barcelona das Selbstvertrauen für den EM-Gewinn ohne Schrempf ein Jahr später geholt. Das aktuelle Team strotzt nach dem dritten Platz bei der WM im letzten Jahr ebenfalls vor Selbstbewusstsein und schaffte – ohne Nowitzki – souverän mit neun Siegen in zehn Spielen die EM-Qualifikation. „Jeder Einzelne kann der Mannschaft helfen“, lobt Henrik Dettman, der Trainerphilosoph aus Finnnland, seine Spieler und wird nicht müde zu betonen, dass auch ein Nowitzki allein nichts erreichen kann.

Der 25-Jährige von den Dallas Mavericks nimmt solche Vorlagen brav auf. Nachdem er beim Supercup in Braunschweig gegen Kroatien in der ersten Halbzeit 26 Punkte gesammelt und am Ende 39 Zähler zum Sieg beigesteuert hatte, merkte er selbstkritisch an: „Mein Spiel muss mehr aus der Mannschaft kommen und darf nicht so aus Einzelaktionen bestehen.“ Andererseits: „Wenn der Ball unbedingt in den Korb muss, stehe ich zur Verfügung.“ Ein herber Schlag war es, dass sich Nowitzki im nächsten Spiel am Fuß verletzte. Für den Rest der Vorbereitung fiel er aus, ist aber heute beim ersten Match gegen Israel (15,15 Uhr, ZDF) wieder dabei. „Fünf Trainingseinheiten“, sagt Dettmann fast anklagend, hätte es insgesamt bloß mit Nowitzki gegeben. Mithat Demirel sieht darin aber „keine großen Probleme, wir spielen ja schon lange zusammen“, und auch Dettmann gibt sich versöhnlich: „Wenn Michael Jordan käme, würde er uns auch helfen – mit nur einer Trainingseinheit.“

Dirk Nowitzki ist der Spieler, der den Unterschied zwischen einer starken und einer überragenden Mannschaft ausmacht, zumal sich bei seinen wenigen Auftritten zeigte, dass er in noch besserer Form ist als bei der WM, wo er immerhin zum wertvollsten Spieler gewählt wurde. Sein Wurf, mit dem er letztes Jahr Probleme hatte, kommt fast traumwandlerisch sicher, und auch sonst hat er sich weiter verbessert. Für Dettmann kein Wunder: „Er arbeitet fünf, sechs Stunden am Tag an seinem Spiel. Wenn wir woanders solche Sportler hätten, wären wir auch Fußball-Weltmeister.“

Der Bundestrainer, der für den Fall der Olympiateilnahme in Athen – es qualifizieren sich neben Gastgeber Griechenland und Weltmeister Serbien-Montenegro die drei EM-Ersten – eine Option besitzt und in der nächsten Saison den Bundesligisten Weißenfels betreut, steht unter enormem Erfolgsdruck. Im DBB ist man schnell maßlos geworden und hat sich nach der WM allen Ernstes über die verpasste Endspielteilnahme echauffiert. Vorschusslorbeeren sind jedenfalls genug geerntet, ab heute müssen sie gerechtfertigt werden. „In zwölf Tagen“, weiß Dettmann, „sind wir entweder die Helden oder große Scheiße.“

MATTI LIESKE