Baggernde Riesen in Baden

Deutschlands Volleyballer haben bei der Europameisterschaft Heimvorteil: Ein Sieg imheutigen Auftaktmatch gegen die Slowakei soll der Schlüssel zum Einzug in die Endrunde sein

Trainer Moculescu: „In manchen Dingen sind wir noch zu grün und zu hastig“

aus Karlsruhe FRANK KETTERER

Draußen vor der futuristischen Halle wird mächtig gebaggert, und das gelbe Gefährt mit der großen Schaufel wirbelt dabei eine ganze Menge Staub in den lauwarmen Spätsommerwind. Die Parkplätze sind längst noch nicht fertig gestellt, die Zufahrt zu ihnen ist nicht viel mehr als ein breiter Kiesweg, und dass sich das alles bis heute Abend grundlegend wird geändert haben, ist nichts weniger als ein Ding der Unmöglichkeit.

Auch um das Interieur der neuen Karlsruher Messehallen ist es nicht viel besser bestellt. Auch drinnen wird gebohrt, gesägt, gehämmert; und ebenfalls gebaggert wie verrückt, allerdings ganz ohne Werkzeug und nur mit bloßen Unterarmen. Für die deutsche Volleyball-Nationalmannschaft hat man in all dem Chaos ein paar Scheinwerfer an die hohe Holzdecke gehängt, ein grünes Spielfeld auf den harten Betonboden geklebt, ein paar blaue Banden drumrum gestellt und zwei Pfosten mit einem Netz dazwischen gleich dazu. Seit Montag holen sich die deutschen Schmettermänner also auf einer Großbaustelle den allerletzten Schliff für die Europameisterschaft, in die sie heute um 18 Uhr im Hallenteil gleich nebenan gegen die Slowakei starten.

So befremdend die zwölf baggernden Riesen in dieser Umgebung auch wirken mögen, so gut zusammen passt die ganze Chose dann doch irgendwie wieder. Vor ein paar Tagen nämlich war auch die deutsche Mannschaft aus ziemlich heiterem Himmel zu so etwas Ähnlichem wie einer Baustelle geworden. Zunächst trat bei Stefan Hübner, Mannschaftskapitän und vielleicht einziger deutscher Spieler von Weltklasseformat, ein Ermüdungsbruch am Schienbein auf, dann, im vorletzten Testspiel, riss bei Björn Andrae auch noch das Syndesmoseband. „Die Verletzungen waren wie ein kleiner Schock“, sagt Marco Liefke, Angreifer vom SSC Berlin, und auch Bundestrainer Stelian Moculescu war dagegen nicht ganz gefeit. Dann hat er, ähnlich wie die Arbeiter in und vor der Halle, Hand angelegt ans Team und die Jungen Georg Wiebel (20 Jahre) und Jochen Schöps nachnominiert, für Hübner wird nun vornehmlich Eugen Bakumovski den Mittelblocker geben, schon in den letzten Testspielen hat er das stark getan. Überhaupt, findet Moculescu, sei die Vorbereitung prima gelaufen und alle hätten voll mitgezogen. Mittlerweile sagt er: „Die Ausfälle sind verarbeitet. Ich konzentriere mich jetzt ganz auf die zwölf Spieler, die da sind. Das sind die besten, die wir haben, und mit ihnen wollen wir unser Ziel erreichen.“

Das Ziel heißt Berlin, Teilnahme an der EM-Endrunde. Mindestens Vierter müssen die Deutschen dazu in ihrer Vorrunde werden, in der sie ab heute in Karlsruhe auf die Slowakei, Tschechien und Spanien treffen, sowie ab Mittwoch auf Frankreich und Italien in Leipzig. Vierter von sechs, das klingt nicht eben nach dem ganz großen Hammer; und ist es irgendwie doch. Deutschland wird derzeit auf Rang 28 der Weltrangliste geführt, im EM-Feld ist nur Auftaktgegner Slowakei schlechter positioniert. „Das erste Spiel wird für uns der Schlüssel“, glaubt deshalb Angreifer Liefke, schon ein zweiter Sieg könnte die Reise nach Berlin bedeuten. „Wenn wir einen guten Tag haben, können wir gegen jeden Gegner bestehen. Aber wir müssen unser bestes Volleyball zeigen, sonst wird es eng“, weiß Bundestrainer Moculescu. Und allein, dass er so einen Satz sagen kann, muss ihm schon als Erfolg angerechnet werden.

Als der gebürtige Rumäne, der 55 Länderspiele für Deutschland bestritten hat, das Bundestraineramt im Januar 1999 übernahm, war die deutsche Männer-Nationalmannschaft nämlich so gut wie nicht existent, jedenfalls nichts, was diesen Namen verdient hätte. Nun, viereinhalb Jahre später, darf sich das Team zwar nach wie vor nicht der Weltspitze zugehörig fühlen, aber mittlerweile hat Moculescu doch den ein oder anderen netten Überraschungserfolg auch gegen eigentlich stärkere Gegner möglich gemacht. Dabei sieht der Bundestrainer seine Mannen unvermindert als eine Gruppe Lernender, vor allem die Teilnahme an der für den Verband nicht ganz kostengünstigen Weltliga hat ihm dabei als Klassenzimmer gedient. „Nur wenn wir uns mit den Besten messen, können wir uns weiterentwickeln“, sagt Moculescu. Getreu diesem Motto empfiehlt er seinen Nationalspielern „zwecks Fortbildung“ auch den Wechsel in die stärkeren ausländischen Ligen. Die Spieler folgen dem Rat ihres Chefs mittlerweile, sieben der zwölf aus dem EM-Kader pritschen vereinsmäßig im Ausland.

„Da entwickelt sich etwas“, glaubt Moculescu, der eher ein kritischer Zeitgenosse ist und nicht zu unkontrollierten Euphorieausbrüchen neigt. Und wie immer, wenn etwas zusammenwächst, dauert es seine Zeit und braucht Geduld. „Vielleicht kommt die EM ein bisschen zu früh“, sagt der Bundestrainer, weil er doch einige sehr junge und international unerfahrene Spieler im Kader hat, von denen er nicht weiß, ob sie die zuletzt in der Weltliga gezeigten Fortschritte nun auch unter dem Druck einer EM im eigenen Land bestätigen können. „In manchen Dingen sind wir noch zu grün und zu hastig“, sagt Moculescu; und manchmal unterlaufen den deutschen Schmettermännern dann ziemlich einfache Fehler – „Stockfehler“, wie der Bundestrainer sie nennt. Dann geht ein Satz, der lange ausgeglichen war, innerhalb weniger Augenblicke verloren, einfach so, in der Weltliga hat man das gleich mehrfach beobachten können. „Wenn wir gut spielen, spielen wir schon sehr, sehr gut. Wenn wir schlecht spielen, spielen wir aber auch richtig schlecht“, stellt Stelian Moculescu fest. Allerdings sagt er auch: „Die Jungs lernen immer mehr, dann gut zu spielen, wenn sie es brauchen.“ Ab heute können sie das beweisen – auf einer Baustelle.