SPD fühlt sich wieder unverstanden

Die Parteispitze kündigt an, dass Ausbildungsverträge für Kinder doch nicht Hartz IV zum Opfer fallen sollen. Ansonsten sehen die Sozialdemokraten nun kein Akzeptanz-, sondern wieder bloß ein Vermittlungsproblem

BERLIN taz ■ Unschlüssig scheint die SPD-Spitze noch darüber zu sein, wie sie die Montagsdemos gegen Hartz IV denunzieren kann, ohne die Teilnehmer zu diffamieren. Wilhelm Schmidt, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD, wählte dazu am Montag die Taktik der Mahnung vor bösen Kräften: „Man kann die Menschen nicht verurteilen, die demonstrieren“, erklärte Schmidt. Aber sie und der Markenname „Montagsdemo“ dienten Radikalen als „Instrument zum Missbrauch.“

Schmidt erklärte das Phänomen „Kritik an Hartz IV“ zum Produkt eines Vermittlungsproblems. Damit erleidet die SPD-Führung einen interpretatorischen Rückfall. Noch im Juni hatte Franz Müntefering eine neue Parole herausgegeben. Der SPD-Chef sah angesichts desaströser Umfragewerte und Wahlergebnisse ein „Akzeptanzproblem“ in der Bevölkerung. Dieses Eingeständnis jedoch, dass die Agenda 2010 insgesamt und insbesondere Hartz IV nicht nur unverstanden sind, sondern realistisch von vielen als Einschnitte eingeschätzt werden, gilt offenbar nun als zu viel.

Schmidt kritisierte auch die eigene Fraktion. Leider gehöre es „zum politischen Geschäft“, sich Einzelpunkte aus Gesetzen herauszupicken, zu skandalisieren und damit Profil zu gewinnen. „Ich persönlich finde solche Rosinenpickerei widerlich“, ergänzte Schmidt. Insgesamt herrsche auch in SPD-Reihen „Unwille und Unfähigkeit“, die Vorzüge von Hartz IV zu verbreiten. Viele Abgeordnete hätten offenbar den 80-seitigen Leitfaden und das „Wörterbuch zu Hartz IV A–Z“ noch nicht memoriert. Wer sich etwa darüber errege, dass für das Arbeitslosengeld II Kindersparbücher bis auf einen Freibetrag von 750 Euro aufgelöst werden müssen, habe offenbar die vergangenen Jahre nicht bemerkt, dass dies bei Sozialhilfe selbstverständlich ist. Und dass für Stützebezieher diese Freibeträge unter Rot-Grün stetig abgeschmolzen wurden. „Sozialhilfeempfänger waren denen, die sich jetzt empören, offensichtlich immer schnurzpiepegal“, höhnte Schmidt. Er sei sich aber „sicher, dass Ausbildungsverträge für Kinder unangetastet bleiben, wenn sie nicht bloß dazu dienen, Kapital zu verstecken“.

In dieser Frage wie auch in der, ob und wann das Januargeld der künftigen Alg-II-Bezieher gezahlt wird, kündigte Schmidt also Nachjustierungen an. Schon Müntefering hatte vergangene Woche angedeutet, es werde nicht bei der Linie von Wirtschaftsminister Wolfgang Clement bleiben, dass die Ende Dezember 2004 bezahlte Arbeitslosenhilfe auch als Januarleistung zählt. Gestern bestätigte Müntefering, dass Ausbildungsverträge für Kinder unberührt bleiben sollen. Vermutlich wird sich die Regierung jedoch die Verkündung dieser frohen Botschaften für die Kabinettsklausur am ersten Septemberwochenende in Bonn aufsparen. Die Frage des Januargeldes, sagte Schmidt, „können wir nicht mal eben per Federstrich erledigen. Da muss eine neue Verordnung her, da geht es um 1,9 Milliarden Euro.“

Ob allerdings kleinere Nachbesserungen am Hartz-IV-Gesetz, die die Regierung auch ohne die Zustimmung der Union bis Jahresende auf den Weg schicken kann, den Aufruhr in Medien und Bevölkerung dämpfen, ist zweifelhaft. Schmidt sagte über das Dilemma der SPD: „Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich nicht ungeniert – sondern ganz schwer.“ UWI