Neue Kämpfe und neues Leid in Liberia

Kurz nach einem umfassenden Friedensabkommen flammt Liberias Krieg wieder auf. Zehntausende auf der Flucht

BERLIN taz ■ Heftige Kämpfe zwischen Regierungsarmee und Rebellen im Zentrum Liberias haben zehntausende Menschen in die Flucht getrieben und drohen, den prekären Frieden in dem westafrikanischen Land erneut zusammenbrechen zu lassen. Nach Berichten von Hilfsorganisationen ist seit einigen Tagen eine Massenflucht aus dem Ort Totota rund 100 Kilometer nordöstlich von der Hauptstadt Monrovia im Gange, nachdem Kämpfer der größten liberianischen Rebellenbewegung Lurd (Vereinigte Liberianer für Versöhnung und Demokratie) den Ort angriffen und Milizionäre der Regierungsarmee eines der vier Kriegsvertriebenenlager von Totota besetzten.

Totota liegt an der Frontlinie zwischen Regierung und Lurd, seit die Rebellen Anfang voriger Woche aus ihrer Hochburg Gbarnga Offensiven in mehrere Richtungen starteten. Es zählt 70.000 Einwohner, dazu 75.000 Vertriebene in Lagern. Ein Großteil davon, darunter zahlreiche Kinder, flieht jetzt nach UN-Berichten bei strömendem Regen in Richtung Monrovia. 15.000 sollen am Mittwoch den Ort Salala erreicht haben, 70 Kilometer von der Hauptstadt entfernt. Die beiden Kriegsparteien machen sich gegenseitig für den Ausbruch der Kämpfe verantwortlich. Sie begannen am 24. August, sechs Tage nachdem Regierung, Rebellen und Zivilgesellschaft Liberias nach monatelangen Verhandlungen in Ghana ein umfassendes Friedensabkommen schlossen. Demnach übernimmt am 14. Oktober der Geschäftsmann Gyude Bryant als neutraler Übergangspräsident die Macht in Liberia als Führer einer Allparteienregierung, die im Oktober 2005 freie Wahlen organisieren und im Januar 2006 ihre Macht an den gewählten Nachfolger übergeben soll. Zur Umsetzung des Friedensabkommens soll bis 1. Oktober eine UN-Truppe in Liberia landen, deren Sollstärke von UN-Seite mit 15.000 Mann angegeben wird. In der Hauptstadt Monrovia sind bereits knapp 3.000 meist nigerianische Soldaten einer westafrikanischen Eingreiftruppe stationiert, die die wochenlange Belagerung des Stadtzentrums durch die Lurd-Rebellen beendeten und am 11. August den Rücktritt des Staatschefs Charles Taylors zugunsten seines Stellvertreters Moses Blah überwachten. Taylor lebt seitdem in Nigeria im Exil, und sein Abgang weckte Hoffnungen auf ein Ende des Krieges.

Die neuen Kämpfe dämpfen diese Hoffnungen nun, zumal auch Liberias zweitgrößte Rebellenbewegung „Model“ (Bewegung für Demokratie in Liberia), die den Süden und Osten des Landes sowie die wichtige Hafenstadt Buchanan 120 Kilometer südöstlich von Monrovia beherrscht, erneut in die Offensive gegangen ist. Im nordöstlichen Berggebiet Nimba County soll Model am 24. August nach Regierungsangaben bis zu 1.000 Zivilisten massakriert haben, was sie selbst allerdings dementiert.

Beide Rebellengruppen haben mehrfach mit einer Wiederaufnahme des Krieges gedroht. Denn das Friedensabkommen gibt ihnen weniger Macht als gewünscht in der geplanten Übergangsregierung. Neuverhandlungen sind allerdings ausgeschlossen. DOMINIC JOHNSON