der kommentar
: Die sozialrevolte der zeichen

Bisher mündete jede fehlgeschlagene deutsche revolution in eine große rechtschreibreform – die man brav zurücknahm. kein grund also zur panik!

Bei der aktuellen rechtschreibreform dachten viele, dass man nun endlich so schreiben könne, wie man wolle, aber der duden, die lehrerverbände und medien schafften es doch, eine neue ordnung durchzusetzen. Unabhängig davon setzte sich das „anything goes“ in der werbung durch – ich erinnere nur an das immer noch hängende plakat „Die Ärzte dankt Berlin!“

Parallel zur rechtschreibreform nach einer niedergeschlagenen revolution probten auch die dichter den aufstand der zeichen – seit dada mit gagaismus und seit dem futurismus mit kleinschreibung, die uns nach dem krieg im fluxus wieder begegnete. All das ist mir zu maniriert. Eher schon lass ich mir die schnelligkeitsbedingte kleinschreibung samt sämtlicher tippfehler in e-mails gefallen. Von da aus, so nehmen internetexperten an, wird sich denn auch die angloamerikanische lässigkeit und basisdemokratische schreibweise langsam bei uns durchsetzen – gegen die eventuell zurückgenommene rechtschreibreform.

Die heftigkeit, mit der die rücknahme jetzt diskutiert wird, auch taz-intern, deutet übrigens bereits darauf hin, dass wir es wieder mal mit einer echten niedergeschlagenen sozialrevolte zu tun haben – wahrscheinlich jene, die mit der parole „wir sind das volk“ anhub und sich anheischig machte, die 68-revolte einzuholen und zu überholen.

HELMUT HÖGE