„Selbst im islamischen regierungslager bildet sich eine opposition“, sagt Mehran Barati

Das regime im iran wehrt sich immer heftiger, weil der druck zunimmt. Die demokratisierung ist nicht aufzuhalten

taz: Kann man aus den jüngsten zeitungsverboten im iran schließen, dass die konservativen zu der ära Chomeini zurückkehren wollen?

Barati: Ich weiß nicht, ob sie diese absicht haben. Mir scheint jedenfalls, die rückkehr zu jenen zeiten ausgeschlossen. Das regime ist nicht mehr in der lage, die neuen gesellschaftlichen schichten, die in den letzten zwei jahrzehnten entstanden sind, zu kontrollieren. Selbst das islamische lager ist nicht einheitlich. Es kann durchaus sein, dass die neue machtkonstellation zur verstärkung der repression führt, aber eine rückkehr zu der ära Chomeini ist unmöglich.

Welches ziel verfolgt dann die neue repressionswelle, die sich nicht nur gegen die presse richtet, sondern auch gegen andersdenkende, gegen frauen, gegen die jugend?

Die repression wird immer verstärkt, wenn diktaturen mit forderungen nach freiheit und demokratie konfrontiert werden. Denselben vorgang haben wir auch bei den staaten osteuropas erlebt. Das deutet eher auf schwäche als stärke. Die herrscher im Iran haben, wie die letzten wahlen gezeigt haben, wichtige teile ihrer basis verloren.

Die schwäche liegt offenbar auch beim volk, sonst würden sich die theokraten nicht so lange an der macht halten können.

Das ist genau das problem. Die opposition ist nicht organisiert, eine glaubwürdige alternative existiert bislang nicht. Bemerkenswert ist jedoch, dass aus dem islamischen regierungslager sich allmählich eine organisierte opposition herausbildet. Es gibt inzwischen zahlreiche politiker und intellektuelle, die einst zu den vorreitern der islamischen revolution gehörten und nun dem islamischen staat den rücken kehren. Diese haben zwar, wie es scheint, nicht die absicht, sich der laizistischen opposition anzuschließen. Aber indem sie sich außerhalb der staatsmacht organisieren, eröffnen sie neue möglichkeiten zu einem gemeinsamen vorgehen.

Das allein wird nicht für große veränderungen ausreichen.

Nein, aber auch die größten studentenorganisationen haben dem staat eine absage erteilt. Sie sind gerade dabei, eigene strategien zu entwickeln und sich um demokratische ziele zu organisieren. Zudem streiken nun lehrerInnen und arbeiterInnen. Nachdem der versuch, den islamischen staat von oben zu reformieren, gescheitert ist, beginnt sich nun eine Bewegung von unten zu formieren.

Können auch exilorganisationen an einer alternative zur Islamischen Republik mitwirken?

Nein, das ist weder möglich noch wünschenswert. Wir denken eher an ein gemeinsames programm, um das sich oppositionelle im in- und ausland scharen könnten, an gemeinsame wege, die zur freiheit und demokratie führen könnten.

Die USA haben oft angekündigt, dass sie im Iran einen regimewechsel anstreben. Meinen sie, dass sie es schaffen könnten?

Das ist durchaus möglich. Jedenfalls ist das problem der sicherheit in- und außerhalb der region so akut wie noch nie. Der export von terrorismus ist ein faktum, das die ganze welt beschäftigt. Das iranische atomprogramm, falls es tatsächlich auf den bau von atombomben ausgerichtet sein sollte, würde kaum von der weltgemeinschaft, allen voran den USA, geduldet werden. Auch die permanente verletzung der menschenrechte ist ein weiterer punkt, der die beziehungen Irans zur der außenwelt stark belastet. Ich denke zwar nicht, dass ein militärischer angriff gegen den Iran stattfinden wird, aber bei der fortsetzung der gegenwärtigen politik wird der druck auf das land spürbar wachsen.

Wie die internationale presse berichtet, hat Israel längst pläne zur bombardierung iranischer atomanlagen in der schublade.

Wir sind gegen solche aktionen. Aber diese potenzielle möglichkeit spielte bei den auseinandersetzungen zwischen den fraktionen in der Islamischen Republik eine wichtige rolle. Die drohungen bleiben nicht ohne wirkung. Auch die machthaber im Iran und ihre rivalen im islamischen lager werden überlegen, wie sie politisch vorgehen müssen, um solche gefahren auszuschließen. Vielleicht wird der druck von außen sogar dazu führen, dass statt einiger fundamentalistischer abenteurer moderatere kräfte die verantwortung übernehmen.

Glauben sie, dass ein austausch von Personen das Problem lösen könnte? Oder setzt die entwicklung zur demokratie einen regimewechsel oder gar einen volksaufstand voraus?

Ich habe keinen zweifel daran, dass dieses regime seine legitimation verloren hat. Aber da es in unserer geschichte kaum parteien gegeben hat, spielen personen eine wichtige rolle. Deshalb kann ein wechsel der staatsführung eine positive wirkung haben, vorausgesetzt allerdings, dass er mit einer organisierten opposition hand in hand geht. Dadurch würde man möglicherweise einen friedlichen übergang zu einem demokratischen system erreichen.

Können sie sich vorstellen, dass die heutigen machthaber einen solchen friedlichen übergang dulden würden?

Wir müssen jedenfalls alle politischen möglichkeiten nutzen, auch den druck von außen, um die organisation einer glaubwürdigen, demokratischen alternative zum jetzigen system voranzubringen.

INTERVIEW: BAHMAN NIRUMAND