Die neue Teilung Europas
: Kein Nulldefizit in Österreich
aus Wien RALF LEONHARD

„Nulldefizit“, so hieß bis vor kurzem das Credo der Wiener Regierung. Der ausgeglichene Staatshaushalt wurde von Finanzminister Karl-Heinz Grasser, damals FPÖ, jetzt parteilos, als sein besonderes Markenzeichen kreiert. Mit viel Budgetakrobatik, Auslagerung von Kosten, Vorableistungen der Steuerzahler und Aderlass für die Bundesländer wurde das Ziel 2001 auch erreicht. Mit dem selbstgerechten Naserümpfen eines Vorzugsschülers rief man Deutschland, Frankreich und Portugal zur Einhaltung des Stabilitätspakts auf.

Das Nulldefizit sei vorwiegend Maßnahmen auf der Einnahmeseite zu verdanken, stellte der Rechnungshof später fest. Die Ausgaben seien dagegen auf ein historisches Hoch geklettert. Inzwischen redet daher auch niemand mehr von Nulldefizit. Grasser und Bundeskanzler Wolfgang Schüssel streben einen „ausgeglichenen Haushalt über einen Konjunkturzyklus“ an, lassen dabei aber offen, wie lange so ein Zyklus dauert. Für 2003 erwartet der Finanzminister ein Defizit von 1,3 Prozent. Schließlich müssen teurere Abfangjäger bezahlt werden. Vom Ankurbeln der Konjunktur durch das von der Opposition geforderte Vorziehen der Steuerreform auf 2004 hält Grasser nichts.

Geändert hat der Kanzler überraschend nun auch seine Position zum Stabilitätspakt. Bei den Wirtschaftsgesprächen beim Europäischen Forum im Tiroler Alpbach letzte Woche gab er sich konziliant: „Ob das drei Prozent sind oder 3,5 Prozent – das ist nicht der entscheidende Punkt.“ Als Vorbild schwebt ihm die Wirtschaftspolitik der USA vor, die ein hohes Haushaltsdefizit zulässt. „Ich bin für größere Pendelbewegungen, wenn wir in beiden Phasen den Mut haben, das Richtige zu tun“. Daher müsste man in guten Zeiten Überschüsse erwirtschaften. Die Opposition wirft Schüssel aber vor, bisher das Falsche getan zu haben, nämlich den Abschwung durch seinen Sparkurs noch beschleunigt zu haben.