Afrikas krieg gegen die heuschrecke

Mauretanien befürchtet hungersnot, Senegal mobilisiert die armee: die heuschreckenplage in Nordwestafrika breitet sich weiter aus. Der höhepunkt sei noch nicht erreicht, warnen experten. Schätzungen gehen bis zu 300 millionen Dollar schäden

Eine tonne heuschrecken frisst täglich so viel wie 2.500 menschen

VON DOMINIC JOHNSON

Die teerstraße, die aus dem küstengebiet Mauretanien quer durch das Land 1.200 kilometer nach osten tief in die Sahara führt, ist eigentlich der stolz von präsident Maoouiya Ould Taya. Er ließ sie pünktlich zu seiner wiederwahl im vergangenen november fertigstellen. Aber als ein reporter der senegalesischen zeitung Wal Fadjri die straße neulich entlangfuhr, wurde die reise zum albtraum: „Statt auf teer rollt man auf einem heuschreckenteppich“, berichtete das blatt erschrocken am dienstag. „Die schwärme scheinen die straße zum treffpunkt auserkoren zu haben, bewegen sich im tiefflug und setzen sich auf die fahrbahn.“ Zahlreiche reisende, deren autokühler mit den tieren verstopft waren oder deren fahrzeuge ausgerutscht und von der fahrbahn abgekommen waren, strandeten in der wüste.

Mauretanien ist zentrum der heuschreckeninvasion, die immer größere teile Nordwestafrikas heimsucht. Rund 80 prozent der ernte des landes sind bereits von den aus der wüste südlich der Atlasberge eingefallenen wanderheuschrecken aufgefressen worden. In der hauptstadt Nouakchott vertilgten die tiere vergangene woche sämtliches grün. Augenzeugen sprachen danach von riesigen bergen toter heuschrecken am Strand der am Atlantik gelegenen stadt. Die behörden fürchten, dass 800.000 der drei millionen einwohner Mauretaniens nicht genug zu essen haben werden.

Im südlichen nachbarland Senegal erklärte präsident Abdoulaye Wade den heuschrecken am 29. juli förmlich den krieg. Von „invasion“, „infiltrationen“ und „kampffronten“ ist seitdem in zeitungen der hauptstadt Dakar die rede. 50 soldaten sind im Senegal im einsatz, um zusammen mit der feuerwehr die „invasoren“ zurückzudrängen. Im stil der permanenten kampagnen für mehr sauberkeit und gesellschaftlichen einsatz, wie sie senegals regierende lieben, sind jugendliche angehalten, sich freiwillig zum abwehrkampf zu melden. Um 4 uhr morgens sollen sie unter anleitung von experten an die heuschreckenfront, um die eindringlinge im schlaf totzusprühen.

Es ist nicht das erste mal, dass wanderheuschrecken die Sahelzone heimsuchen; aber besonders gefährlich ist es diesmal, weil sie die aussaat gefährden und damit die ernährungssicherheit bis ins nächste jahr hinein. Die zahl der heuschrecken in der region geht mit sicherheit in die billionen. Bis zu 50 heuschrecken pro quadratmeter zählt ein heuschreckenschwarm; jedes tier frisst jeden tag das äquivalent seines eigenen körpergewichts. Die algerische zeitung La Tribune hat ausgerechnet, dass eine tonne heuschrecken (500.000 tiere) täglich so viel frisst wie zehn elefanten oder 25 dromedare oder 2.500 menschen. Der zusätzliche ernährungsbedarf eines nur einen quadratkilometer zählenden schwarms wäre somit so hoch wie der von einer viertelmillion menschen.

Die dagegen zur verfügung gestellten mittel sind lächerlich gering. Knapp sieben millionen hektar in ganz Nordwestafrika hat die UN-agrarorganisation FAO bisher mit der chemischen keule gegen heuschrecken gesichert – das sind 70.000 quadratkilometer, vielleicht ein prozent der bedrohten fläche. Die FAO-appelle für die nötige finanzierung steigen wöchentlich. Neun millionen Dollar waren es im februar, 17 millionen im april; 50 millionen sind es heute, wobei hinter vorgehaltener hand von 80 millionen Dollar die rede ist und afrikanische experten mit heuschreckenerfahrung eher 300 millionen für wahrscheinlich halten.

„Es wird alles noch schlimmer werden“, zitiert die französische zeitung Le Figaro den agronomen Michel Lecoq, dessen forschungszentrum eine mission in das krisengebiet geschickt hat. „Die letzte große heuschreckeninvasion 1987–88 dauerte anderhalb jahre. In den 50er-jahren waren es noch ein bis anderthalb jahrzehnte. Die jetzige wanderbewegung hat ihren höhepunkt noch längst nicht erreicht.“