Naturschutz unter Druck

Schleswig-Holstein hat zu wenige Schutzgebiete für das europäische Netz Natura 2000 ausgewiesen und muss jetzt nachmelden. Die EU kritisiert, Kiel habe nicht einmal die eigenen Prüfkriterien umgesetzt und droht mit Strafen

von GERNOT KNÖDLER

Das rot-grün regierte Schleswig-Holstein steht im Begriff, sich beim Umweltschutz zu blamieren. Weil das Land zu wenige Schutzgebiete für das europäische Verbundnetz „Natura 2000“ ausgewiesen hat, droht die EU mit Strafgebühren. Der BUND vermutet, die Landesregierung habe viele Gebiete nicht angemeldet, um Konflikten aus dem Wege zu gehen.

Die EU hatte 1992 entschieden, ein europäisches Netz von Naturschutzgebieten zu schaffen, die so dicht beieinander liegen, dass sie als Trittsteine für den Austausch von Tier- und Pflanzenpopulationen dienen können und damit deren Erhaltung sichern. In ihrer Vogelschutz- und ihrer Flora-Fauna-Habitat-(FFH-)Richtlinie hat die Staatengemeinschaft die Kriterien für auszuweisende Schutzgebiete festgelegt. Für einmal gemeldete Flächen gilt ein Verschlechterungsverbot. Ausnahmen sind nur „aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses“ möglich. Damit begründet etwa der Hamburger Senat den Bau der Airbus-Fabrik im Mühlenberger Loch.

Kiel hat schon einmal versucht nachzubessern und insgesamt 73 Gebiete nach der Vogelschutzrichtlinie und 123 nach der FFH-Richtlinie an Brüssel gemeldet. Der EU-Kommission war das viel zu wenig. Sie leitete ein Vertragsverletzungsverfahren ein. Schleswig-Holstein wies deshalb in diesem Jahr weitere 240 FFH-Gebiete aus. An der Nachmeldung von Vogelschutzgebieten wird gearbeitet. „Wir werden alles ausweisen, was schützenswert ist“, beteuert Michael Rittmeier, Sprecher von Umweltminister Klaus Müller (Grüne).

Unter der Leitung von Müllers Vorgänger Rainder Steenblock (Grüne) habe das Ministerium „nach anderen Kriterien gearbeitet“ und daher eine kleinere Zahl an Gebieten ermittelt. In einem Brief an das Bundesumweltministerium bezeichnete die EU-Kommission die getroffene Auswahl als nicht nachvollziehbar. Überdies seien „in Schleswig-Holstein noch nicht einmal die eigenen Prüfkriterien angemessen umgesetzt“ worden.

Zu den nicht gemeldeten Gebieten zählt auch der zum Teil der Familie Bismarck gehörende Sachsenwald. „Die haben Angst vor Entschädigungsforderungen“, vermutet Martin Marquardt, Naturschutzreferent beim BUND. Der weitgehend aus Buchen bestehende Sachsenwald sei als Lebensraum schützenswert und biete Vögeln wie dem Rotmilan, dem Trauerschäpper und dem Schwarzstorch eine Heimat.

Nicht gemeldet hat die Landesregierung auch die Wakenitz-Niederung dort, wo die Ostseeautobahn verlaufen soll, ein Gebiet in Lübeck-Blankensee, wo der Flughafen ausgebaut werden soll, und das Elbufer bei Brunsbüttel. „In diesen Bereichen liegt die Vermutung nahe, dass politisches Kalkül eine Rolle spielt“, sagt Marquardt.

Der Referent vermutet, dass auch die jetzt geplanten Nachmeldungen nicht reichen werden. Damit stelle sich die Landesregierung selbst ein Bein. Denn alle potentiellen Natura-2000-Gebiete müssen so behandelt werden als seien sie ausgewiesen. Dieser unklare Status führe dazu, dass dort nichts geplant werden könne.