Raus nach Regen

Nach dem Achtelfinal-Aus bei den US Open gegen Sjeng Schalken hofft Rainer Schüttler auf Erkenntniszuwachs

NEW YORK taz ■ Der härteste Kritiker kam aus den eigenen Reihen. Rainer Schüttler machte zwar kein Hehl daraus, dass er sich mit einer eher bescheidenen Leistung im Achtelfinale gegen Sjeng Schalken von den US Open 2003 verabschiedet hatte, aber weitaus kräftiger klangen die Worte seines Trainers Dirk Hordorff: „Ein Weltklassespieler zeichnet sich dadurch aus, dass er die Fähigkeit besitzt, sich in schwierigen Situationen etwas einfallen zu lassen. Und diese Fähigkeit hatte Rainer nicht.“

Gegen Schalken zu verlieren ist eine undankbare Geschichte. Der lange Niederländer wirkt immer ein wenig wie der Antityp eines dynamischen Tennisspielers, doch er weiß genau, was er tut, und er ist nur schwer aus der Ruhe zu bringen. Ganz im Gegensatz zu Schüttler, wenn die Dinge nicht so funktionieren, wie er sich das denkt. Ziemlich bald nach Beginn des zweiten Teils der am Abend zuvor abgebrochenen Partie haderte er deutlich hörbar mit sich selbst („Du hast auch schon mal besser gespielt, und das ist noch nicht lange her“), und ließ sich von Schalken zu planlosen Aktionen verleiten. Unruhig und zu ungeduldig sei er gewesen, sagt Schüttler; es hätte wahrscheinlich genügt, einfach nur konstant zu spielen, denn Schalken habe ja auch kein großes Tennis gespielt. Aber selbst der leichte Lichtblick nach dem Gewinn eines Satzes brachte weder grundsätzliche Erleuchtung noch Sicherheit, und nach zweieinhalb Stunden war Schalken am Ziel (6:1, 4:6, 6:3, 6:4). Wieder mal, wie erst vor ein paar Wochen in Wimbledon.

Wie groß wohl der Einfluss der vergangenen Tage mit ihrem ständigen Hin und Her, Rein und Raus, mit schlechten Spielplänen und unabsehbaren Ereignissen auf Schüttlers Ungeduld war? Alles nicht so dramatisch, sagt er, aber wer den Ordnungsmenschen Rainer S. ein wenig kennt, der mag das nicht so recht glauben. Wer Handtücher selbst während eines Tennisspiels immer auf dieselbe Weise faltet, der fühlt sich im organisierten Chaos vermutlich nicht allzu wohl. Aber genau darin besteht eben die Schwierigkeit, bei den US Open erfolgreich zu sein.

Es war schade um die Chancen, die er mit der ärgerlichen Niederlage verpasste. Zum einen wäre ein Auftritt vor vollem Haus im Arthur-Ashe-Stadion gegen Andy Roddick eine schöne Belohnung gewesen nach anderthalb Wochen auf den Außenplätzen des National Tennis Centers. Zum anderen hätte ihn das zweite Viertelfinale seiner Laufbahn bei einem Grand-Slam-Turnier mehr als nur 30 Punkte sammeln lassen für den Masters Cup in Houston. Die besten acht des Champions Race qualifizieren sich für den Cup im November, Sechster war Schüttler vor Beginn der US Open. Der Siebte, Carlos Moya, ist zwar nicht näher gekommen, aber David Nalbandian macht Boden gut, und von den hinteren Rängen droht von Lleyton Hewitt Gefahr.

Als sich Schüttler am Donnerstag in Flushing Meadows verabschiedete, da wirkte er ziemlich enttäuscht. „Im Moment würde ich sagen, ich fahre mit einem schlechten Gefühl. Aber wenn ich morgen aufwache werde vielleicht sagen: Du warst in der vierten Runde, hast dreimal gut gespielt, einmal eben nicht, und insofern kann ich damit nicht unzufrieden sein.“ Aber es ist nicht das, was er wollte. Der der Kritiker Hordorff ist sich allerdings sicher, dass Schüttler aus der zweiten Niederlage in Folge im Achtelfinale eines Grand-Slam-Turniers gegen Sjeng Schalken die richtigen Schlüsse ziehen wird.

Gestern haben sich Spieler und Coach auf den Weg gemacht zum Turnier nach Costa do Sauipe in Brasilien, und danach geht es zurück in die Heimat zum Davis-Cup ins lauschige Sundern. In der Partie gegen den Abstieg gegen Weißrussland (ab 19. September) wird Rainer Schüttler in bester Form gebraucht. Und um ein paar Erkenntnisse reicher.

DORIS HENKEL