Rudis ratlose Resterampe

Die „Woche der Wahrheit“ ist in aller Munde. Trotzdem verweigert das DFB-Team sorgsam die Auseinandersetzung mit den Folgen einer Niederlage beim heutigen Qualifikationsspiel in Island

von THOMAS WINKLER

Viel war zu lesen. Viel zu viel. Dass ein gewisser Jens Lehmann unbedingt im deutschen Tor stehen möchte. Dass ein gewisser Sebastian Deisler nach 16 Monaten zurückkehrt in die Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Dass ein gewisser Fredi Bobic seit viel zu vielen Spielen ohne Torerfolg ist.

Wenig war allerdings davon zu lesen, was eigentlich geschehen sollte, wenn die als solche ebenfalls oft und gern apostrophierte „Woche der Wahrheit“ anders enden sollte als mit zwei Siegen gegen Island (heute, 19.30 Uhr, ARD) und am kommenden Mittwoch gegen Schottland. Dann stünde nicht nur die – seien wir ehrlich – fest gebuchte Qualifikation für die Europameisterschaft in Frage. Womöglich müsste die Nation dann endgültig feststellen, dass die Wahrheit über das DFB-Team nicht wirklich auf den Fußballplätzen Asiens enthüllt wurde. Ja, denkbar ist sogar, dass aus „Rudi Riese“ wieder ein ganz profaner Teamchef Rudi Völler wird, den man demnächst womöglich ähnlich behandelt wie seinen Vorgänger, einen gewissen Berti Vogts, der mittlerweile, so wollten es Auslosung und Zufall, schottischer Trainer ist. Momentan allerdings noch scheint vor allem um das DFB-Team herum, in den begleitenden Medien, in der ganzen Öffentlichkeit die Beschäftigung mit der wahren Spielstärke der bundesdeutschen Fußballer ein sorgsam zu vermeidendes Thema. Dieser Verdrängungswettbewerb immerhin hat mittlerweile Weltklasseformat erreicht.

Wie in einer kollektiven Hypnose werden in den Medien Nebenschauplätze eröffnet, als wollte man sich ängstlich nicht mit den Fakten beschäftigen: In fünf EM-Qualifikationsspielen wurden gerade mal acht Tore erzielt. Durchschnittlich, errechnete Sport-Bild, benötigte man 18 Torschüsse für einen Erfolg. Zum Vergleich: Bundesliga-Absteiger 1. FC Nürnberg brauchte vergangene Saison nur 13.

Das Ergebnis: drei mühsam erkämpfte Siege und zwei ernüchternde Unentschieden gegen Litauen und Schottland. Noch bedenkenswerter die Tatsache, dass sechs dieser Tore nach Standardsituationen fielen. Auf Kombinationssicherheit und spielerisches Vermögen lässt das nicht ausdrücklich schließen.

So muss zur Stimmungsaufhellung vornehmlich die zweite Halbzeit des letzten Testspiels gegen Italien dienen. Die Azurri hatte man beim 0:1 regelrecht eingeschnürt und so sogar mehrere gute Tormöglichkeiten erzwungen. Nur das Ausnützen derselben, so das Credo des Teamchefs, stelle noch ein Problem dar. Dass die italienischen Profis allerdings noch mitten in der Saisonvorbereitung begriffen waren und konditionell arg abbauten, wird nicht erwähnt. So gilt weiterhin, was Völlers Assistent Michael Skibbe seit der WM nicht müde wird, zu betonen: Das DFB-Team kann an einem guten Tag mit der Weltspitze mithalten, aber an einem durchschnittlichen gegen Fußballzwerge arg schlecht aussehen.

Man möchte ergänzen: Vor allem gegen Zwerge. Immerhin steht nicht zu befürchten, dass die Isländer mit Elfen auflaufen werden. Aber doch mit einer „tiefen inneren Stärke“, die der Bochumer Profi Thordur Gudjonsson im christlichen Glauben verortet. Auf solchen Glauben greift nun auch das DFB-Team zurück: Wer nur fleißig trainiere, den belohne „der liebe Gott“ auch „wieder mit einem Tor“, gab Völler seinem ladegehemmten Stürmer Bobic mit auf den Weg. Der Glauben in die eigene Leistungsfähigkeit allerdings, der geht selbst besseren deutschen Spielern momentan ab. „In der Breite“ habe man nicht „das Material“, ließ Michael Ballack gestern verlauten: „Im Moment können wir gegen die großen Mannschaften nicht gewinnen, das zeigt unseren Standard.“ Dieser Standard ist nicht allzu hoch. Dass Langzeitverletzte wie Jens Nowotny, Dietmar Hamann oder Torsten Frings fehlen, erhöht ihn nicht gerade. So wirkt Rudis Resterampe mithin etwas ratlos.

Die Erklärungen, sollte die „Woche der Wahrheit“ nicht den Hoffnungen gemäß enden, liegen also schon bereit. Dann wird wieder viel geschrieben werden. Man darf gespannt sein, was.