DAS INTERNATIONALE ENGAGEMENT FÜR LIBERIA MUSS VERSTÄRKT WERDEN
: Liberia – ein Sommerlochthema?

Politiker, die aus der Sommerpause zurückkehren, könnten meinen, eine der größten Krisen des Sommers – der Krieg in Liberia – sei bewältigt. Das Thema ist schließlich aus den Schlagzeilen verschwunden. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus.

Sicher, Regierung und Rebellen haben Frieden geschlossen. Über 2.000 Soldaten westafrikanischer Friedenstruppen stehen in der Hauptstadt Monrovia, und sogar eine Hand voll US Marines leistet „logistische Unterstützung“. Wir sehen nicht mehr jeden Tag schockierende Bilder von Teenagersoldaten, die sich gegenseitig totschießen, oder Leichenberge vor der US-Botschaft.

Aber für die meisten Liberianer ist der verzweifelte Überlebenskampf noch lange nicht vorbei. Wieder einmal begeben sich Menschen auf die Flucht, terrorisiert durch andauernde Kämpfe. Aus den überfüllten Lagern in Totota, weniger als zwei Stunden Autofahrt von Monrovia entfernt, strömen tausende in Richtung der Hauptstadt. Gerade erst hatten die Hilfswerke begonnen, ihre Arbeit in den Kriegsvertriebenenlagern aufzustocken – jetzt steigt das Risiko von Seuchen und Tod dramatisch.

Die Priorität für Liberianer muss darin bestehen, Sicherheit in ihrem Land wiederherzustellen. Das bedeutet viel mehr Friedenstruppen vor Ort, und zwar schnell. Jacques Klein, UN-Sonderbeauftragter für Liberia, hat gesagt, dass er 15.000 Soldaten braucht – fast zehnmal so viel wie heute.

Die Zaghaftigkeit der USA, die die meisten ihrer Marines nach nur elf Tagen im Land schon wieder auf ihre Schiffe zurückgeordert hat, sendet den Liberianern eine sehr zwiespältige Botschaft. Die symbolische Dramatik ihrer Ankunft war für die Menschen von immenser Bedeutung. Wenn die USA wirklich einen Unterschied machen sollen, müssen sie mehr Truppen schicken und eine klarere Führungsrolle einnehmen.

Doch das Fehlen starken US-Handelns sollte die Verantwortung aller reichen Nationen nicht in den Hintergrund drängen. Die Stationierung der westafrikanischen Friedenstruppe vollzieht sich schmerzhaft langsam. Der Grund ist Geldmangel. Peacekeeping ist teuer. Die Führer der reichen Industrienationen haben wiederholt zugesagt, afrikanische Friedensbemühungen zu unterstützen, zuletzt beim G-8-Gipfel von Evian im Juni. Wenn es jemals einen Grund gegeben hat, mehr in dieser Richtung zu tun, liefert ihn Liberia.

Die UNO hat kürzlich ihren Hilfsappell für Liberia auf fast 70 Millionen Dollar erhöht, aber jenseits von Lebensmittelzusagen hat sie nur 13 Prozent davon bekommen. Seit zwei Jahren werden Hilfsappelle für Liberia nur zu 30 Prozent gedeckt. Aber für den diesjährigen UN-Appell für Irak brachten die Geber in den ersten drei Monaten fast 2 Milliarden Dollar auf. Natürlich braucht Irak dieses Geld und mehr dazu – aber der Kontrast zu Liberia ist augenfällig.

Liberia ist eine Gesellschaft im Endstadium des Zerfalls, mit erheblichen menschenrechtlichen und humanitären Problemen. Der UN-Sonderbeauftragte für Binnenvertriebene, Francis Deng, hat auf die Lage der Vertriebenen aufmerksam gemacht, die keinen Zugang zu Nahrung, sauberem Wasser, medizinischer Versorgung und sanitären Einrichtungen haben. Er drängt auch darauf, dass in Liberia stationierte Truppen internationale Standards zum Schutz von Zivilisten einhalten. Der Aufmerksamkeit bedarf auch die Sicherheit von Frauen und Kindern, die in westafrikanischen Konflikten schutzlos sexueller Gewalt ausgeliefert sind. Ebenso dringlich ist die Entwaffnung tausender Kämpfer, besonders Kindersoldaten, und ihre Reintegration in die Gemeinschaft. Eine ganze Generation ist mit dem Gewehr aufgewachsen.

In den letzten Wochen gab es eine Chance, Liberias langer Tragödie ein Ende zu setzen. Während unseres heißen Sommers blieb die internationale Gemeinschaft untätig, während Monrovia brannte. Die internationale Zögerlichkeit erwies sich als ebenso tödlich wie die Granaten und Gewehrkugeln in Monrovia. Wir sind es Liberias leidendem Volk schuldig, sein Elend zu beenden. Das liegt auch in unserem Interesse, denn wenn man diese schwärende Wunde nicht behandelt, wird sie die Region weiter destabilisieren. MARY ROBINSON

Die Autorin war Präsidentin von Irland und UN-Menschenrechtsbeauftragte. Heute ist sie Ehrenpräsidentin der Hilfsorganisation Oxfam International und Leiterin der Ethical Globalization Initiative. Deutsch von Dominic Johnson