zahl der woche
: Wirtschaftsminister Clement reformiert die Arbeitsstättenverordnung und verspricht damit weniger Bürokratie

Wie Rot-Grün 2,5 Meter hohe Quetschstellen entschlackt

Verstehen Sie diese Vorschrift? „An kraftbetätigten Türen und Toren müssen Quetsch- und Scherstellen bis zu einer Höhe von 2,50 m so gesichert sein, dass die Bewegung der Türen oder Tore im Gefahrfall zum Stillstand kommt.“ Diese und 57 andere Auflagen für Arbeitsschutz und Sicherheit macht die so genannte Arbeitsstättenverordnung den deutschen Unternehmen – wenn es um Mülleimer und Lichtschalter geht, aber auch um den Schutz vor Lärm und Feuer. Viel zu bürokratisch, meint Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement. Deshalb hat das Bundeskabinett in der vergangenen Woche beschlossen, 48 der Paragrafen aus der Verordnung zu streichen.

Auch die Vorschriften für Geräte- und Produktsicherheit will man „entschlacken und zusammenfassen“ – ein neuer Baustein der Regierungsinitiative „Bürokratieabbau“. Das Ziel: Der „unzureichenden wirtschaftlichen Dynamik und der verhärteten Arbeitslosigkeit zu Leibe rücken“, sagte Clement.

Kritik kommt von den Gewerkschaften und Berufgenossenschaften, die den Arbeitsschutz jahrelang erkämpft haben. Zwar begrüßen sie den Abbau von Bürokratie. Dennoch sehen sie Gefahren: „Wenn das Schutzniveau sinkt, ist langfristig mit Arbeitsausfällen und Erkrankungen zu rechnen“, sagt Horst Riesenberg-Mordeja von der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di. „Der Arbeitsschutz ist eine soziale Errungenschaft, die sollte man nicht über Bord werfen“, meint auch Manfred Rentrop vom Hauptverband der Berufsgenossenschaften.

Auch Clements Ziel, den Unternehmen „wieder mehr Verantwortung“ zu geben und sie von „unnötigen Fesseln“ zu befreien, stellen die Kritiker in Frage. Dies werde durch die Novelle laut Ver.di nicht erreicht. „Bei Erfüllung der bisherigen Regeln besaßen die Unternehmen Rechtssicherheit“, sagt Riesenberg-Mordeja. Wenn jede Firma künftig ihre Schutzmaßnahmen selbstständig gestaltet, seien Gerichtsverfahren vorprogrammiert.

Bei aller Aufregung: Sehr weit gehend ist die Streichung der Paragrafen auf zehn nicht. Im Anhang der neuen Verordnung sind immer noch seitenlang Detailregelungen festgeschrieben. „Augenwischerei“, sagt Riesenberg-Mordeja. Alexander Schieferdecker vom Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit betont dagegen: „Auflagen bei der Raumtemperatur, der Raumhöhe und Grundfläche fallen beispielsweise weg.“ Ver.di-Fachmann Riesenberg-Mordeja entgegnet: „Viele Maßnahmen sind in der alten Verordnung nicht zwingend vorgeschrieben.“ Die Unternehmen hätten jetzt schon genügend Spielräume.

Doch die Spielräume sind in der Summe gering: Rund 70.000 Auflagen hat die Wirtschaft in Deutschland laut Bertelsmann-Stiftung zu beachten. Vor allem die kleinen Unternehmen sind betroffen: Wie Bremens Wirtschaftssenator Hartmut Perschau errechnete, würden sie durch die Bürokratie mit jährlich 4.300 Euro pro Mitarbeiter belastet. Große Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern hätten dagegen nur Belastungen von etwa 150 Euro pro Beschäftigten.

ADALBERT SINIAWSKI