Grüne finden soziales Idyll

Auf einer Tagung im Voralpenland befinden die Grünen, dass Joschka Fischer und Gerhard Schröder nicht so wichtig sind, sondern vielmehr soziale Verbesserungen in der „Agenda 2010“. Und mancher will Angelika Beer aus dem Amt kegeln

aus Miesbach LUKAS WALLRAFF

Der Kanzler hätte den Grünen keinen größeren Gefallen tun können. Kurz vor der Klausurtagung des kleinen Koalitionspartners im oberbayerischen Miesbach ließ Gerhard Schröder wissen, er finde es „zum Kotzen“, dass die Grünen gleichzeitig Regierungs- und Oppositionspartei sein wollen. Die Attacke des SPD-Vorsitzenden zeigte Wirkung: Sie hat die Grünen zusammengeschweißt.

Drei Tage lang zelebrierten die Abegeordneten eine heile grüne Welt in idyllischer Voralpenlandschaft. „Jetzt erst recht“, lautete die einhellige Meinung. Gestärkt von glänzenden Umfragewerten, schworen sich die Grünen, dass sie sich nicht vom großen Partner unterbuttern lassen wollen. Der Brechreiz des Kanzlers und die schlechte Lage der Sozialdemokraten? Nicht unser Problem, so die Haltung bei den Grünen, wir spielen weiter den Reformmotor.

Ein Papier wurde verabschiedet, das Schröder weiter ärgern dürfte: „Wie Deutschland innovationsfähiger wird.“ Darin formulieren die Grünen ehrgeizige Ziele, die teilweise deutlich im Kontrast zur Politik der SPD stehen: Ausbau der erneuerbaren Energien bis zum Jahr 2050 „auf mindestens 50 Prozent“ etwa – eine Kampfansage an Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD), der die Förderung der Windkraft zurückdrehen möchte. Das hält die Fraktion geschlossen, die sich bei den Sozialreformen selbst nicht einig ist.

Nicht zufällig hatte der ehemalige Parteichef Fritz Kuhn schon vor der Klausur ein „Gerechtigkeitsdefizit“ bei der Agenda 2010 beklagt. Nicht wenige meinen, dass Kuhn eigentlich vor allem seine eigene Position innerhalb der Grünen meinte (durch die Bleibe-Ankündigung Joschka Fischers wird so schnell kein neuer Posten für ihn frei). Trotzdem brachte er damit die Stimmung auf den Punkt. Gegen den ursprünglichen Willen der Fraktionsspitze wurde gestern ein Forderungskatalog für „Veränderungen“ bei den geplanten Hartz-Gesetzen beschlossen.

So ist es nun grüne Mehrheitsmeinung, dabei müsse man sozialer vorgehen. Unterhaltspflicht für Verwandte ersten Grades? Abschaffen! Absinken des Stundenlohns bei Minijobs? Vermeiden! Arbeitslosengeld II? Auch für Ausländer mit nachrangigem Arbeitsmarktzugang! Drei Verhandler (darunter Kuhn) sollen diese Forderungen nun gegenüber der SPD durchsetzen. Ob es ihnen gelingt, ist fraglich. Doch linke Grüne wie Hans-Christian Ströbele drohen bereits, sonst im Bundestag gegen die Reform des Arbeitsmarkts zu stimmen. Koalitionsknatsch ist programmiert.

Da half es auch nicht viel, dass Joschka Fischer bei seinem Kurzbesuch in Miesbach eindringlich an die Abgeordneten appellierte, doch, bitte schön!, die Opposition zu attackieren – und nicht die eigene Regierung. Verhaltene Reaktionen, kein Beifall. Auch der Jubel über Fischers Ankündigung, 2006 noch einmal anzutreten, hielt sich in Grenzen. „Mal schaun, ob er sich wirklich daran hält“, so der lakonische Kommentar eines Abgeordneten. Die Rolle Fischers werde „überbewertet“, hieß es. Viel wichtiger sei, grüne Positionen im Reformstress erkennbar werden zu lassen.

Parteichefin Angelika Beer, da sind sich alle einig, hat dazu bisher wenig beigetragen. Und wenn, dann sagte sie das Falsche im falschen Moment – wie bei ihrem Vorstoß für eine „Prüfung“ des Bundeswehreinsatzes im Irak. „Es kann doch nicht sein, dass wir die SPD da ohne Not im miltärischen Ehrgeiz überholen“, schimpfte ein Grüner aus der Führungsriege. Die Geduld mit Beer ist erschöpft, viele halten ihren Verbleib an der Parteispitze für eine „Verschwendung“.

Hinter den Kulissen wird deshalb ernsthaft darüber nachgedacht, wie man die glücklose Parteivorsitzende früher loswerden könnte, als bisher vorgesehen. Beer selbst hat ihren Rückzug für Ende 2004 angekündigt. Seitdem muss sie miterleben, wie sie weiter demontiert wird. Auf Platz eins auf der Europawahlliste musste sie bereits verzichten. Dafür ist die niedersächsische Grüne Rebecca Harms gesetzt. Ob Beer bis 2004 im Amt verweilen kann, hängt davon ab, wie der Parteitag im November läuft, auf dem die Grünen ihre Kandidaten für die Europawahl nominieren werden.

Es gibt Bestrebungen, Beer schon vorher zum Rücktritt zu bewegen – und erste Drohungen aus der Fraktion. „Wenn sie nicht freiwillig geht, wählen wir sie eben nicht auf einen sicheren Listenplatz.“ In den offiziellen Verlautbarungen nach der Klausurtagung spielten solche Überlegungen natürlich keine Rolle – es hätte ja die neu gefundene Harmonie im schönen Miesbach getrübt.