beim zeus
: Die große Zeit der Erbsenzähler

FRANK KETTERER über den ersten Athener Auftritt der deutschen Sportfunktionäre, die wie gewohnt sprühen vor Zweckoptimismus

Nun, da es nur noch ein paar Stunden hin sind, bis endlich das große Feuer brennt, müssen natürlich auch Prognosen abgegeben werden, schließlich ist die deutsche Olympiamannschaft nicht zum Vergnügen hierher ins immer heißer werdende Athen gefahren, sondern um viele, viele Medaillen zu gewinnen. Wie man so eine große Sache wie Olympia angeht, haben die Fußballerinnen ja gerade gezeigt, indem sie China 8:0 vom Rasen gekehrt haben, und nun hofft Klaus Steinbach, der hier nicht nur NOK-Präsident ist und damit ranghöchster deutscher Olympier, sondern auch noch Chef der ganzen Mission, dass das die nächsten 16 Tage so weitergeht mit der deutschen Siegerei. „Das war wirklich ein Auftakt nach Maß“, findet Steinbach jedenfalls, „so haben wir uns das vorgestellt“. Was en détail heißt: „Das Ziel der deutschen Olympiamannschaft ist es, die Spiele in Athen erfolgreich und gleichzeitig sauber sowie fair zu gestalten.“

Nun weiß man in dopingverschmutzten Zeiten wie diesen natürlich, was der Missionschef mit sauber meint. Was fair bedeutet ist ohnehin klar, die Geschichte mit dem „erfolgreich“ aber könnte leicht zur Auslegungssache werden. Weshalb Steinbach es nicht versäumt, konkret zu werden. Steinbach sagt: „Wir wollen unter die Top Five der Welt.“ Konkreter: „Wir können unter den Top Five einen exzellenten Platz einnehmen.“ Und was das heißt, formuliert noch konkreter wiederum Ulrich Feldhoff, der für den Leistungssport zuständige Vizepräsident des Deutschen Sportbundes (DSB). Feldhoff sagt: „Die deutsche Mannschaft hat in Athen eine ganz realistische Chance, den dritten Platz einzunehmen.“ Vor allem China (0:8!) sei im Streben hiernach der größte Konkurrent.

Gemessen wird dieser angestrebte Erfolg natürlich an den Medaillen – und ganz ohne diese Erbsenzählerei wird es, wie immer bei solchen Spielen, auch in Athen nicht abgehen. Schließlich kostet die Sportelei vier Jahre lang viel Geld – und dafür wollen die Funktionäre nun möglichst viele Medaillen sehen, mit denen sie sich und ihren Verband schmücken können. In Sydney, das nur so zur Erinnerung, hat die deutsche Mannschaft 13 Mal Gold, 17 Mal Silber sowie 26 Mal Bronze gewonnen und war damit just auf dem letzten Platz der Top Five gelandet, hinter den USA, Russland, China und Australien.

Wie und durch welche Sportarten das zu ändern ist, hat Feldhoff bereits ziemlich detailliert ausgeheckt, vor allem „der gesamte Bereich Wassersport“, sprich Kanu, Rudern und Schwimmen, sowie „traditionell der Reitsport“, sollen für eine Medaillenflut sorgen. Gegenüber Sydney „eindeutig verbessert“ hätten sich die Deutschen in den Spielsportarten, man denke da nur an die Handballer oder die bereits siegenden Fußballerinnen. In der Leichtathletik wiederum, daraus macht der DSB-Mann keinen Hehl, kann Deutschland wohl nur auf eine besonders große Portion Glück hoffen, eine echte Goldhoffnung ist diesmal jedenfalls nicht dabei.

Begonnen wird mit der ganzen Erbsenzählerei bereits am morgigen Samstag – wie immer mit den Schützen und Schwimmern. Und wenn alles einigermaßen glatt geht, gibt’s schon am Abend gleich was zu feiern im Deutschen Haus, wo sich Sportler und Journalisten nach getaner Arbeit treffen. Sonja Pfeilschifter jedenfalls zählt beim Luftgewehrschießen zum Favoritenkreis und könnte somit als erste deutsche Medaillengewinnerin dieser Spiele zu ein bisschen Ruhm kommen. Kurz vor 21 Uhr wiederum springen dann die deutschen Schwimmdiven erstmals ins Becken, um mit der 4x100m-Freistilstaffel für Wellen zu sorgen. Vor vier Jahren in Sydney war das Quartett um Superstar Franziska van Almsick zwar ebenfalls als große Goldhoffnung angereist, dann aber auf dem enttäuschenden Rang vier gelandet, nun hofft nicht nur Ralf Beckmann, der Cheftrainer des Deutschen Schwimm-Verbandes (DSV), dass sich das nicht wiederholen möge. Schließlich gehe vom ersten Tag „eine Signalwirkung“ aus. Was in Sydney denn auch tatsächlich der Fall war, im Prinzip ist dort anschließend die gesamte DSV-Mannschaft abgesoffen.

Das soll diesmal ganz anders sein, jedenfalls wenn es nach Beckmann geht, der bezüglich der Erfolgsaussichten sehr fein zu unterscheiden weiß, nämlich so: „24 realistische Finalchancen“ sieht der oberste deutsche Schwimmcoach, „12 erweiterte Medaillenchancen“ sowie „6 große Medaillenchancen“, worunter neben der morgigen Frauenstaffel die Einzelstarts von Weltrekordlerin van Almsick sowie der Weltmeisterinnen Hannah Stockbauer und Antje Buschschulte fallen. Letztere plagt sich derzeit übrigens mit ganz anderen Sorgen als der Medaillenzählerei. „Ich hoffe, dass das Wasser nicht so warm ist“, tat sie gestern kund.