Ein bisschen Würde

Wiedergutmachung mit Widersprüchen: Gelände des Hamburger Konzentrationslagers Neuengamme in den Vier- und Marschlanden offiziell an die KZ-Gedenkstätte übergeben. Mehrere hundert Überlebende nahmen am Festakt teil

von ANDREAS SPEIT

Vier breite lange Holzplanken, verstärkt von sechs dünnen Holzverstrebungen, auf denen mit Metallkrallen grober Stacheldraht und ein starker Eisengriff befestigt ist: Wer zwischen 1938 und 1945 die Tore des Konzentrationslagers Neuengamme durchschreiten musste, sollte seine Menschenwürde verlieren. „Einmal diese Schwelle des Tores überschritten, gab es keine Rettung mehr“, betont Jean Le Bris, ehemaliger Häftling und Vorsitzender der Denkmalkommission der „Amicale International“ (AI), der Organisation der KZ-Überlebenden. „Hinter dem Tor begann das Verbrechen gegen die Menschlichkeit.“

Am Samstag wurde während des Gedenkakts „Neuengamme enfin libéré“ das Tor übergeben. Erst vor einem halben Jahr hatte Le Bris es in einer Militärdeponie bei Strasbourg gefunden. „Die Lagertore haben für die Häftlinge des KZ eine hohe Bedeutung“, betonte der französische Generalkonsul Gabriel Jugnet bei der Übergabe.

An die 400 Gäste versammeln sich anschließend auf dem früheren Appellplatz, um an dem offiziellen Festakt teilzunehmen, mit dem das neu gestaltete Gelände an die KZ-Gedenkstätte Neuengamme offiziell übergeben wurde. Einige der über 300 Überlebenden, die aus zwölf europäischen Ländern angereist waren, betraten erstmals wieder jenen Platz, auf dem sie selbst Schikanen und Folterungen der Nazis erleiden mussten.

Denn weil die Stadt Hamburg 1948 auf dem KZ-Gelände in den Vier- und Marschlanden die Strafvollzugsanstalt JVA XII baute, durften die Überlebenden diesen Bereich nicht betreten. „Eine 55 Jahre lang währende Schändung“, hebt Robert Pinçon hervor. Der Präsident der AI betont, erst jetzt sei „Neuengamme enfin libére“, und Hamburgs Erster Bürgermeister Ole von Beust (CDU) stimmte zu: „Erst heute ist Neuengamme wirklich frei“, sagt er und räumt ein, einen „Fehler gemacht“ zu haben: „Zu lange haben wir den Überlebenden nicht die Freiheit eingeräumt zu entscheiden, was die einzig würdige Form des Gedenkens ist.“

Beust muss sich mit verhaltenem Applaus bescheiden. Die ehemaligen Häftlinge und ihre Angehörigen erinnern sich noch gut, dass der Senat aus CDU, Schill-Partei und FDP im Koalitionsvertrag 2001 die Schließung der JVA abgelehnt hatte. Doch ohne die Verlegung konnte die KZ-Gedenkstätte nicht ausgebaut werden. „Dies war eine klare Absage an eine Neugestaltung“, erinnert Fritz Bringmann, Ehrenpräsident der AI.

Erst mit Unterstützung der Gedenkstätte, der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes und der Medien, betont Bringmann, konnte Schwarz-Schill zum Umdenken bewegt werden. Eine „Wiedergutmachung“, so der 84-Jährige, „mit Widersprüchen“.

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