Unmöglich: Sieg gegen das Umland

Wissenschaftler kritisieren Bremens Konkurrenz-Denken gegenüber dem Umland: Neue Strukturen der Wirtschaftspolitik müssten die Region fördern – und sollten „auch im Falle einer Eingliederung in einen Nordstaat Bestand haben“

Bremen taz ■ Das Bundesland Bremen macht keine kluge Politik gegenüber seinem niedersächsischen Umland. Das ist die Quintessenz eines Referates, das die Bremer Wirtschaftswissenschaftlerin Wiebke Lang vom „Institut für Arbeit und Wirtschaft“ (IAW) jetzt auf einer Tagung gehalten hat. Thema: Perspektiven der Selbständigkeit Bremens.

Dabei wurde viel Kritik an Bremens Politik laut: Trotz aller Beteuerungen setze Bremen stark auf „Konkurrenz mit dem Umland“ und formuliere immer wieder das „Ziel, Bevölkerungsanteile aus der Gesamtregion zurück zu gewinnen“. Dieser Versuch, „Suburbanisierung“ umzukehren, könne aber nicht erfolgreich sein, erklärte die Wissenschaftlerin. Politisch sei er zudem falsch: „Die Problemdiagnose geht an den tatsächlichen langfristigen Entwicklungstendenzen vorbei.“

Immer wieder werde das Problem der knappen Bremer Staatsfinanzen damit begründet, dass Pendler ihre Steuern in Niedersachsen zahlten – doch so stimme das nicht, widersprach Lang. Per Länderfinanzausgleich flössen 85 Prozent der Steuern zurück in Bremer Kassen. Zudem müssten die Umlandgemeinden die Kosten für Kindergarten und Schule der Pendlerkinder aufbringen. Gleichzeitig wachse die Zahl der „Auspendler“, die in Bremen wohnen und Steuern zahlen, aber im Umland arbeiten. Auch dies sei keine Bremer Besonderheit: Im Umfeld aller Großstädte entstünden wechselseitige Abhängigkeiten.

Von der politischen Konsequenz, eine gemeinsame Strukturpolitik mit dem Umland zu planen, ist Bremen jedoch besonders weit entfernt: Die „Regionale Arbeitsgemeinschaft“ (RAG), so heißt die „Gemeinsame Landesplanung“ neuerdings etwas bescheidener, verfügt nicht über Fördermittel, sondern nur über geringe „konzeptionelle Planungsmittel“. Zwar gibt es inzwischen ein „integriertes Raumstrukturkonzept“ für die grenzüberschreitende Flächenplanung – aber nur als Vorschlag. Falls daraus ein verbindliches Planungsinstrument werden sollte, würde das Jahre dauern.

Nichts wäre dabei so notwendig wie eine gemeinsame Strategie der Wirtschaftsförderung, meint Wiebke Lang. Denn bei den innovations-intensiven Bereichen der Elektroindustrie, des Maschinenbaus und der Dienstleistungsbranche habe nicht nur Bremen, sondern die gesamte Region große Defizite. „Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie es das Land bewerkstelligen will, Bremen in die Top Ten der Forschungsstandorte zu hieven“, formuliert die Wissenschaftlerin ihre Zweifel an den vollmundigen politischen Zielsetzungen. Sie betont: Dies funktioniere nicht gegen, sondern nur mit der Region. Beispiel chemische Industrie: Diese sei zwischen Osterholz und Cuxhaven sehr viel besser positioniert als in Bremen. Bevor Wertschöpfungspotenziale nach Bayern verlagert würden, müsste Bremen ein großes Interesse haben, sie wenigstens in der Region zu binden. „Bremen muss an der Wirtschaftskraft und stabilen wirtschaftlichen Entwicklung seiner Nachbargemeinden und -kreise ein vitales Interesse haben“, fasst Lang zusammen. Städte und Gemeinden der Region dürften nicht länger als Konkurrenten auftreten. Sie seien vielmehr „Entwicklungspartner“.

Rolf Prigge, Leiter der IAW-Forschungseinheit „Strukturwandel“, befasst sich mit der Lage Bremens im Großstädte-Vergleich. Auf europäischen Karten, berichtete er, tauche Bremen selbst unter den „national bedeutsamen“ Zentren nicht auf. Noch vor zehn Jahren lag die Hansestadt in einem Ranking der 15 deutschen Großstädte auf Platz 10 – mittlerweile ist sie trotz erheblicher Sanierungs-Investitionen auf Platz 11 abgerutscht. Prigges Schlussfolgerung: „Über die Arbeits- und Lebensbedingungen in einer Großstadt und deren Entwicklungschancen entscheidet derzeit eher die Gunst der regionalen Lage als die Qualität der Modernisierungspolitik.“ Bremens Modernisierungsanstrengungen seien durchschnittlich: „Bremen macht, was andere Großstädte auch machen“, so Prigge. Wegen ihrer finanziellen Abhängigkeit seien Großstädte „einschließlich der Stadtstaaten derzeit nur bedingt regierungsfähig“.

Wiebke Lang erwartet eine „verschärfte Neugliederungsdebatte“ aufgrund der Probleme der Haushaltsnotlage-Länder. Ihr scheint „angebracht“, erklärte sie auf der Tagung des IAW, „Lösungsmöglichkeiten zu suchen, die sowohl im Fall des Erhalts der Selbstständigkeit Bremens als auch im Falle einer Eingliederung in einen Nordstaat Bestand haben können.“ Kawe