„Berlin ist halt so rau“

Gucken, dass man Geld, Frauen, Erfolg und Männerhandys hat: Die Acts des HipHop-Labels Aggro Berlin propagieren die neue Härte im deutschen Rap

Interview SILVIA HELBIG

Ohne den kleinen Aufkleber mit der Warnung vor „explizit lyrics“ würde sich wahrscheinlich keine amerikanische HipHop-Platte mehr verkaufen. „I’m gonna kill you, if you don’t fuck with me“, rappte sich Eminem zum Erfolg. „Ich bring dich um, wenn du nicht mit mir fickst“ – solch eine ausdrucksstarke Lyrik auf Deutsch ist im hiesigen Radio und Musikfernsehen undenkbar. Deshalb winken auch alle Radiosender ab, wenn die Plattenfirma Aggro Berlin anklopft. Für deutschen Gangsterrap sind die Charts scheinbar noch nicht bereit. Oder doch? Ohne große Werbung, fast nur durch Mund-zu-Mund-Propaganda, wachsen die Fangemeinde und die Verkaufszahlen der beiden Aggro-Acts, dem Rapper und Produzenten Bushido und der Gruppe A.i.d.S (A.i.d.S. ist die Abkürzung für „Alles ist die Sekte“ und besteht aus den Rappern Sido und B-Tight).

taz: Warum mögen die Leute Aggro-Rap?

A.i.d.S.: Deutscher Rap ist in der Hand der Wohlstandskids, aber eigentlich kommt Rap von der Straße. Rap ist der Ghetto-Track. Wir machen den härtesten Rap, wir Berliner haben den Straßenfaktor, der im deutschen Rap die ganze Zeit gefehlt hat. In Berlin geht es den Leuten sozial schlecht, da gibt es hier mehrere Bezirke. In anderen Städten vielleicht mal einen. Das Märkische Viertel, wo wir herkommen, ist auf jeden Fall ein Ghetto. Das sagen wir nicht, um cool zu sein. Nach dem Motto „Wir kommen aus dem Ghetto, wir sind voll die harten Jungs“. Wir wollen darauf aufmerksam machen, dass es so etwas in Deutschland gibt. Das, worüber wir rappen, ist authentisch. Das merken unsere Fans. Ich komm aus dem Ghetto, ich weiß, wie das da aussieht.

Wie denn?

A.i.d.S.: Die Wohnungen sind verschimmelt, die Leute abgefuckt, man muss sich durchschlagen. Die Eltern sind Wracks, die sich nicht um die Kinder kümmern können. Sie sind arbeitslos und trinken. Die Kinder wachsen größtenteils alleine auf, schwänzen die Schule, wie wir das gemacht haben.

Was bedeutet Rap für Sie?

Bushido: In erster Linie ist das ein Job. Ich mach das, weil ich Geld brauche, Ruhm möchte und Frauen. Ein legales Mittel, um meinen Lebensstil zu finanzieren. Ich nehme das ernst. Das ist die Alternative zu dem kriminellen Potenzial, das in mir steckt.

Kriminelles Potenzial?

Bushido: Wenn du in einem Ghetto lebst, ist der Sinn des Spiels, dass du immer der Erste bist, der zuschlägt. Selbst wenn um dich ringsherum alles scheiße ist und die Leute kein Geld haben, musst du für dich schauen, dass du Geld hast. Der, der Mädchen hat, wenn die anderen nicht bumsen können. Ich versuche immer das Beste zu bekommen. Dann haben die Bullen mich halt verhaftet wegen Drogenhandel.

Das Wichtigste ist für Sie also Gewalt, Sex und Geld?

Bushido: Geld auf jeden Fall. Das brauchen wir für unseren Style. Wir haben unsere 88-50. Wenn wir uns ein neues Handy holen, ist das das 89-10 und nicht das 32 irgendwas. Keine Tussi-Handys. Wir haben Männerhandys aus Titan, zum Aufklappen. Geld und Erfolg, so was riechen die Weiber. Und als Berliner boxt man sich halt gern. Wenn ich sage „Hurensohn“ und „fick deine Mutter“, das ist nicht intelligent, aber Berlin ist halt so rau. Ich hau lieber gleich in die Fresse, bevor ich jemanden disse.

Ist das nicht ein Rückschritt? Batteln soll doch gerade verhindern, dass sich die Typen immer gleich die Rübe einhauen?

A.i.d.S.: Richtige Männer schlagen sich, das ist Naturgesetz. Und die Weiber stehen doch auch drauf. Die haben zwar immer so liebe Freunde, aber in Wirklichkeit wollen sie richtigen Männern einen blasen. Du hast bestimmt auch so einen schwulen Frauenversteher als Freund?

Klar. Da Sie vom sozialen Aspekt des HipHop nicht viel zu halten scheinen, finden Sie es auch nicht gefährlich, wenn Sie sagen „Sex nur ohne Kondom“.

A.i.d.S.: Sex ohne Kondom, jeder der das hört von einer Band, die Aids heißt, denkt darüber nach und denkt, die sind doch verrückt. Wenn wir sagen, nehmt immer Kondome, dann würden die Leute denken, sind die behindert, oder was? Der Zeigefinger hilft überhaupt nicht. Unsere Masche funktioniert besser. Als Jugendlicher hast du keinen Bock auf positive Vorbilder.

Frauen werden in Ihren Texten hauptsächlich als Huren bezeichnet.

A.i.d.S.: Das muss man unter dem künstlerischen Aspekt sehen. Jeder Künstler verarbeitet sein Leben. Wenn ich ein Lied schreibe „Alle Frauen sind Schlampen“, dann ist mir kurz vorher große Scheiße mit einer Frau passiert. Das muss dann raus.

Wie reagieren Ihre Fans auf solche Texte?

A.i.d.S.: Unsere Fans sind die verrücktesten Leute in Deutschland. Bei normalen HipHop-Konzerten heben die mal die Hand und wippen mit. Bei uns sielen die sich im Bier auf dem Boden. Wir schreien „Ihr seid voll Kacke“, dann schreien die „Wir sind voll Kacke“. Auf dem Splash-Festival hat man gesehen, dass auch ganz normale Münchener Kiddies auf uns abfahren. Die können sich bei uns gehen lassen, ausrasten, die Sau rauslassen. Die Jugendlichen im Osten stehen auch voll auf uns, wahrscheinlich, weil’s denen ähnlich mies geht.

Würden Sie für einen Plattenvertrag bei einem größeren Label Ihre Lyrics entschärfen, wie Kool Savas das gemacht hat?

Bushido: Der Savas hat doch keine Eier. Der tut voll hart mit „Lutsch meinen Schwanz“ und so und seine Freundin ist viel härter als der. Der merkt jetzt auch, dass er einen Fehler gemacht hat mit seinem schwulen Album „Der schönste Tag meines Lebens“. Der will jetzt wieder härter werden, weil er geschnallt hat, dass die Leute drauf abfahren.

Was machen Sie eigentlich, wenn Ihr Sohn, ich gehe mal davon aus, dass Sie Kinder haben werden, schwul wird?

Bushido: Natürlich will ich Kinder haben, ganz viele. Aber ich bin dermaßen hetero, mein Sohn kann gar nicht schwul werden.

Aktuelle CDs: Bushido: „Vom Bordstein bis zur Skyline“, A.i.d.S: „Garnich so schlimm“ (beide Aggro Berlin)