Abrissbirne kommt im Westen an

Die nördliche Revierstadt Oer-Erkenschwick ist die erste in NRW, die vom millionenschweren „Stadtumbau West“ profitiert: 60er-Jahre-Hochhäuser werden zurückgebaut. Auch Dorsten, Essen und Gelsenkirchen reißen ab

RUHR taz ■ Wie ein Christo-Kunstwerk sieht die Oer-Erkenschwicker Innenstadt aus: In der 30.000-Einwohner-Kommune im nördlichen Ruhrgebietsind die Hochhäuser im Zentrum verhüllt. Ihre oberen Stockwerke sollen abgerissen werden, die Planen Staubwirbel verhindern. Solche Aktionen gibt es bisher nur im Osten, in Plattenbausiedlungen. Oer-Erkenschwick nimmt als erste Kommune in Nordrhein-Westfalen am Programm „Stadtumbau West“ teil.

Von Abriss und dem Osten der Republik will in der Stadt aber niemand etwas hören. „Nein, nein, wir bauen zurück“, sagt Sprecher Peter Raudszus. Schließlich würde ja keine Abrissbirne gebraucht, sondern schön sachte Etage für Etage abgetragen, unter der Folie, so dass es niemand bemerke. Darauf könne die Stadt stolz sein. „Aus abgewirtschafteten Hochhäusern werden schicke Wohnungen“, sagt Raudszus. In den 60er Jahren habe man Hochhäuser für schick gehalten, jetzt müsse umgedacht werden.

Die Abrissbirne ist im Westen angekommen. „Das ist etwas sehr Neues“, sagt Mirjam Grothjahn vom nordrhein-westfälischen Städtebauministerium. Im Rahmen des Städteumbaus West seien erstmalig Mittel für den Wohnungs-Rückbau eingeplant. „Vor allem im nördlichen Ruhrgebiet ist das eine notwendige Maßnahme geworden“, sagt Grothjahn. Die Häuser an der Halluinstraße in Oer-Erkenschwick waren schon kurz nach ihrer Fertigstellung Anfang der 70erJahre ein Flop. Sie sollten den Bergarbeitern der Zeche Ewald dienen, aber mit deren Schließung verschwanden die MieterInnen wieder. Seitdem wurden sie zu Sozialwohnungen, die zunehmend verwahrlosten und leer standen. Seit Anfang August reißt die „Vestisch-Märkische Wohnungsbaugesellschaft“ die Stockwerke ab, 20 Millionen Euro kostet der Rückbau. Von zwölf Geschossen in 36 Meter Höhe werden die Häuser auf sechs und an anderen Stellen von acht auf drei Geschossen dezimiert. Bis Ende 2006 werden 34.000 Kubikmeter Raum abgetragen, 12.400 Quadratmeter Wohnfläche verschwinden.

Dorsten wird ein ähnliches Programm starten: Im Stadtteil Wulfen sollen 300 Wohnungen platt gemacht werden. Die „Neue Stadt Wulfen“ war einst ein städtebauliches Vorzeigeobjekt im Ruhrgebiet. Anfang der 60er Jahre sollte für die Beschäftigten einer geplanten Schachtanlage und ihre Familien eine Siedlung mit 60.000 BewohnerInnen entstehen. Doch die Krise des Bergbaus riss auch diese Siedlung mit: Der Schacht wurde nicht gebaut, nur 20.000 Menschen lebten in der Vorstadt, die Bevölkerung verarmte.

Auch in Gelsenkirchen und Essen soll die Abrrissbirne schwingen: Am Hauptbahnhof der Schalkestadt stehen Wohnungen seit Jahren leer, Essen prüft gerade den Abriss von „problematischen Stadtteilen“.

ANNIKA JOERES