Faustschlag ins Pastorenauge

Geistliche aus dem Wendland können „nicht stillschweigend übergehen, was beim Castortransport im November 2003 bei uns geschehen ist“. In den „Pastoren-Berichten“ rügen sie, Protestler seien „gedemütigt und geschlagen“ worden

Wer nicht aufsteht, dem wird sofortvon einem Beamten ein Handgelenk umgebogen

von Kai Schöneberg

Alles nun, was ihr von den anderen erwartet, das tut ihnen auch! Matthäus 7, 12

Die Zeit der Feindbilder schien vorbei: Die Polizisten sind nicht mehr die „Bullen“, die Demonstranten nicht mehr die „Chaoten“, das schöne Wendland nicht mehr „Brutstätte potenzieller Gewalttäter“. Deshalb dachten die evangelischen Geistlichen, dass es dieses Jahr nicht mehr nötig sei, die „Pastoren-Berichte zum Atommüll-Transport“ herauszugeben – wie bereits viermal zuvor. Allerdings könne man „nicht stillschweigend übergehen, was beim Castor-Transport im November 2003 bei uns geschehen ist“, schreibt der Dannenberger Superintendent Peter Kritzokat in einem Heft mit Augenzeugenberichten von 14 Kollegen, das ab diesem Sonntag in den Kirchen und Gemeidehäusern in Dannenberg und Lüchow verteilt wird. Die Protestler seien „gedemütigt und geschlagen“ worden, obwohl die große Mehrheit „konsequent gewaltfrei“ auftrat.

Als einen „insgesamt optimalen Einsatz“ hatte Innenminister Uwe Schünemann (CDU) den Transport der zwölf Atommüllbehälter ins Zwischenlager nach Gorleben bezeichnet. 12.500 Polizisten hatten die Kokillen in Niedersachsen vor 6.000 Demonstranten „geschützt“.

„Hau ab! Das ist mir scheißegal! Das interessiert jetzt keinen mehr!“ schrien Beamte den Quickborner Pfarrer Jörg Prahler in dieser eiskalten Nacht des 12. November an, als der als Seelsorger gekennzeichnete Mann in sein Gemeindehaus wollte. Stattdessen schubsten sie Prahler in Richtung Kirche. Ihm sei dabei „von hinten mit dem Polizeiknüppel gegen die Waden getippt worden“.

Das, so Prahler, „erinnerte mich daran, wie man Vieh treibt.“ Gerade rollten die ersten Castoren vorbei, Böller flogen, Demonstranten warfen Plastikbeutel „mit einer zähen, kleisterartigen Masse“. Plötzlich „machte ein Beamter einen Schritt nach vorn und schlug mir mit der behandschuhten Faust aufs linke Auge“, erzählt Prahler. Später drangen Polizisten ins Gemeindehaus ein und randalierten. Prahler registrierte aufgebrochene Türen und beschädigte Türblätter. Umgehend erstattete er „Anzeige gegen unbekannt“ und behauptet mit der Autorität eines Gottesmanns, vom Pfarrhaus aus hätten keine Angriffe von Demonstranten stattgefunden.

Same procedure as every year: Friedlich protestierende Schülerinnen seien „in den Schwitzkasten genommen“, eine Humpelnde zu Boden gestoßen worden, „obwohl jeder sehen kann, dass sie eine Krücke hat“, heißt es im „Pastorenbrief“. In Rohstorf hätten Polizisten Demonstranten in „schockierend brutaler Weise“ von den Schienen geholt, obwohl es „sich erkennbar nicht um Gewalttäter“ handelte und die Lage „keinesfalls kritisch“ gewesen sei.

Beliebte Methode der Gesetzeshüter: „Wer der Aufforderung aufzustehen nicht nachkommt, dem wird sofort von dem einen Beamten ein Handgelenk umgebogen (Folge: schmerzhafte Überdehnung der Bänder), während der andere von oben ins Gesicht greift und die Nase hochzieht.“ Widerständler seien anschließend mit Kabelbindern gefesselt und dann „auf dem Bauch die Böschung hochgeschleift“ worden. Ein Polizist begründete „sie fehlende Bereitschaft, Demonstranten wegzutragen, mit der Gefahr von Rückenverletzungen bei Polizisten“. Ein anderer sagte: „In Bayern wird niemand weggetragen!“

In der Nacht in der Gefangenensammelstelle Neu-Tramm hätten „50 bis 60 Beamte“ die Sammelzelle der Männer „gestürmt“. Bei den Gefangenen, die dort teilweise bis in die frühen Morgenstunden ausharren mussten, sei nach einem Handy gesucht worden. Als dieses „anstandslos ausgehändigt“ wurde, durfte sich der Besitzer „zur Belohnung für seine Ehrlichkeit bis auf Unterhose und T-Shirt ausziehen“.

Polizei-Einsatzleiter Friedrich Niehörster hatte nach dem Einsatz sogar Komplimente an die Anti- Atom-Bewegung verteilt: „Sie hat einen fairen Widerstand geleistet.“ Das sieht auch Kirchenmann Kritzokat so. Allerdings habe die Polizei nicht nach dem kategorischen Imperativ gehandelt. AKW-Gegner registrierten insgesamt 72 verletzte Demonstranten. Wegen der „üblen Entgleisungen“ will der Superintendent ab dem 26.August mit Vertretern der Polizei eine öffentliche Diskussionsrunde in der Dannenberger Kirche starten. Im November soll der nächste Castor-Transport Richtung Wendland wollen.