Blues ohne Worte

Elektronische Musk, wie sie auch sein kann: Lawrence vom Hamburger Label Dial Records versöhnt den politischen Anspruch mit der Melancholie. Der Laden läuft, aber in die Gewinnzone kommt er darum noch lange nicht

von Bianca Ludewig

Lawrence hat eine ganz weiche, liebevolle Stimme, und er ist auch ein sympathischer Typ, der viel lacht und etwas von einem Kuschelteddy hat. Ganz anders als die Männer die vor dem „Golden Handschuh“ gegenüber vom Geschäftssitz seines Label Dial Records am Hamburger Berg, Ecke Reeperbahn rumhängen. Lawrence macht das nichts aus, er wohnt sogar hier – im Bermuda-Dreieck der Vergnügungssucht. Das ist praktisch, denn von hier aus hat man es nicht weit zu den einschlägigen Hamburger Clubs, wo Lawrence und seine Labelkollegen gerne auftreten oder Platten auf die Teller servieren.

Wir trinken Pfefferminztee in der 2-qm-Küche, und ich betrachte die Wäsche, die über uns von den Leinen baumelt, während Lawrence, der Meister elektroakustischer Tundras und feinsinniger Klangflächen, den letzten Tatort nacherzählt. Es ist erstaunlich, wie oft man vom Freien Radiosender FSK, wo Lawrence ebenfalls auflegt, zum Thema Tatort und wieder zurück kommen kann. Als wären wir Wortpong-Spieler: Tatort – Antisemitismus – FSK – Radio – Gute Unterhaltung – Tatort!

Und während wir so vor und zurück pongen, landen wir wieder beim Antisemitismus und der Linken. „Auf der einen Seite wird dieses Thema viel zu intellektualisiert, aber gleichzeitig vereinfachend codiert“, stellt Lawrence fest. Er selbst wird immer wieder bei Interviews darauf angesprochen, da sowohl er als auch Dial Records ein linkspolitisches Image von Fans und Presse „übergestülpt“ bekamen.

Er selbst sieht sich eher als ein Beobachter des politischen Geschehens denn als Aktivist. Ja klar, er geht auch mal auf Demos. Und ja, er konsumiert die zähen Texte und Radiosendungen zum Thema, auch wenn dies meist nur schwer auszuhalten ist, wie er gesteht. Oft ist ihm nicht klar, ob dieser extreme Positionierungsdruck nicht eher auf politisches Stylegehabe zurückzuführen sei. „Auch Dial wurde ja immer ein bestimmter Polit-Style unterstellt, weil wir auf Soli-Partys aufgelegt haben oder auf einer Single von uns das Antifa-Logo benutzten ...“

Denn eigentlich machen sie ja Musik für unpolitisierte Menschen, schließlich kann man im Bereich von Techno und Elektronik noch Aufbauarbeit leisten, erklärt Lawrence. „Wir finden es einfach langweilig, in Interviews nur über Musik zu reden.“

Der Klang-Frickler kam einst quasi unfreiwillig samt Familie aus Witten im Ruhrgebiet nach Hamburg. Nach zwanzig Jahren Norddeutschland, inklusive Gärtnerlehre und Studium der Kulturwissenschaften, ist kein Hauch von Pott-Mundart geblieben. Aber vielleicht von der Mentalität. Das Herz liegt auf der Zunge, das merkt man, wenn man ganz genau hinhört. Auch in seiner textlosen Musik. Und ohne Lawrence, der meistens Pete genannt wird, gäbs auch kein Label. Zumindest kein Dial.

1999 beschlossen Dave, Paul und Pete(r), Dial Records auszuprobieren. Seitdem passierten auf dem Label einige musikalische Ereignisse: Sechs Alben und 20 Maxis, um genau zu sein. Durch ihre Studentenjobs bei den Hamburger Labels Universal und Ladomat wussten sie, wie das funktioniert. Und da auch beim Vertrieb Kompakt Freunde von ihnen arbeiteten, war die Logistik schnell hergestellt – eine erste Compilation von 300 Stück kam raus und war schnell vergriffen. „Die hatte Kompakt damals wohl nur aus freundschaftlichem Mitgefühl genommen, denn wirklich gut war dieser Sampler nicht“, erinnert sich Pete, während der Lawrence in ihm tiefstapelt.

Seitdem produziert der Soundgärtner kontinuierlich als Lawrence oder Stan. Lawrence ist die Musik zum Zuhören. Stan, ein weiteres Projekt, ist eher Tanz-Techno. Zum Raven. Aber Lawrence möchte seinen Techno nicht als Soundtrack zum Baggern verstanden wissen: „Heute herrscht in den Clubs leider oft nur noch eine unangenehme sexistische Atmosphäre“. Stans Techno soll auf der Basis des alten Umgangs mit der Materie verstanden werden. „So wie es damals im Front war, da ging es zwar auch um Sex, aber die Leute liebten die Musik und waren Kenner; nach drei Takten wusste jeder sofort, welches Stück jetzt folgt.“ Deshalb macht Stan Musik für Leute, die noch die Augen zumachen und stundenlang tanzen können.

Trotz aller Erfolge ist der finanzielle Gesundheitszustand des Hamburger Label meist kritisch. „Dieses Jahr waren wir zum ersten und wahrscheinlich zum letzten Mal im Plus“, berichtet Pete. Die rettende Überweisung, die das Labelkonto in die schwarzen Zahlen katapultierte kam von Mute Records für einen Remix, dass sie für Martin Gore von Depeche Mode machten. Was passt besser zu Gores schwermütigem Nico-Cover, für das er auf deutsch „Das Lied vom einsamen Mädchen“ erzählt, als diese Hamburger, die den Blues auf elektronisch spielen? Ihre Musik erzeugt gekonnt ganz spezielle Gemütszustände, schafft große Weiten und öffnet melancholische Welten. Stimmungen, die nicht nur Martin Gore überzeugen. Ein bisschen Darkness hat schließlich noch niemandem geschadet. Ein bisschen Dial auch nicht.