Ein Erlebnis

Auftritt: Die Sängerin in residence des Bremer Musikfests

Das ist schon phänomenal, wie die schwedische Sängerin Anne Sophie von Otter einen eigentlich eher unbekannten Liederabend zu einem derart triumphalen Erfolg führen kann, als habe sie einen Hit nach dem anderen gesungen. Beim Musikfestkonzert in der Glocke interpretierte sie Lieder von Edvard Grieg, Erich Maria Korngold, Gustav Mahler und Kurt Weill.

Das Geheimnis liegt in dem, was generell für die Liedkunst gilt und – legt man wirkliche Maßstäbe an – äußerst selten anzutreffen ist: die Fähigkeit, auf kleinstem Raum, nur mit den Nuancen der Stimme, eine Atmosphäre, eine existentielle Situation herzustellen, die nach wenigen Minuten wieder vorbei ist. Dass von Otter diese Vielseitigkeit im Großen pflegt, ist bekannt. Sie singt die Carmen und am nächsten Tag Offenbach, sie singt Händel und am nächsten Tag Kurt Weill, sie singt Mozart und am nächsten Tag John Lennon.

Es war nichts weniger als ein Erlebnis, wie ihre Stimme, die trotz ihres Bekanntheitsgrades so überhaupt keine Verschleißerscheinungen aufweist, ihr gehorcht, wie sie auf einem ganz kleinen Atemstrom ein lang anhaltendes und vor allem tragfähiges Piano singen und es gleichzeitig noch in verschiedene Klangcharaktere färben kann, wie ein glanzvolles Forte überhaupt nicht forciert werden muss.

Griegs Liederzyklus „Haugtussa“ erzählt aus der norwegischen Heimatgeschichte. Otter zauberte lebendige Szenen aus Natur und Liebe. Wenn die Musik Griegs substantiell in der norwegischen Volksmusik wurzelt, so meint der „Volkston“ bei Gustav Mahler etwas ganz anderes: Er thematisiert den schmerzhaft empfundenen Verlust identischer Lebensweise, den das Bürgertum und der Frühkapitalismus hervorgebracht hatten. Das erfordert vom Sänger eine Tongebung und Haltung, die Identität und Distanz gleichzeitig überbringt. Von Otter meistert das atemberaubend, ebenso wie sie in den eher kitschigen, von Puccini und Richard Strauss gewürzten Kosmos von Erich Maria Korngold eintauchen kann. Ungebrochen und ohne Pathos geht der Sextsprung auf „Ich liebe Dich“ direkt ans Herz – das muss man zugeben.

Kurt Weills „Nannas Lied“ – der Text stammt von Bert Brecht – das von der siebzehnjährigen Prostituierten erzählt, klang erschütternd in seiner fahlen Tonlosigkeit. Aggressiv und frech hingegen direkt darauf die Seeräuber-Jenny aus der „Dreigroschenoper“. Und da Otter mit Zugaben nicht geizte, gab es noch eine ganz andere kleine Einheit: Volkslieder von Johannes Brahms, dessen „Och Moder, ich well en Ding han“ sie auch zu einem szenischen Kabinettstückchen erhob. Überhaupt war in vielen winzigen Gesten ihr feiner Humor zu entdecken, wenn sie beispielsweise die artifiziellen Koloraturen in Mahlers „Wer hat dies Liedlein erdacht“ damit ausstattete, dass ihr die Luft scheinbar ausgeht.

Ute Schalz-Laurenze

Weitere Konzerte Anne Sophie von Otters: Barock am 13. September in der Kirche Unser Lieben Frauen, Bremen; Crossover am 20. September Lloyd-Werft Bremerhaven, jeweils 20 Uhr