: berliner szenen Cooles Bausparen
Resteverwertung
Innerhalb von wenigen Tagen war der Container randvoll mit fleckigen Teppichen und verschimmelten Küchenmöbeln. Ein kaputtes Radio, ein ausgebrannter Fernseher, der Haufen Müll war in den warmen Monaten die ganz große Attraktion. Zwei bosnische Jungs in Unterhemden kamen gleich mehrmals und beluden ihren Fahrradanhänger mit allem, was nach Altmetall aussah. Der dicke alte Maler, der zwei Häuser weiter wohnt und immer so laut am offenen Fenster telefoniert, suchte nach Holzleisten für Bilderrahmen, und ein verschüchterter Student sah sich erst einmal nach allen Seiten um, bevor er ein Regalbrett aus dem Stapel zog. Irgendwann war sogar das rostige Ofenrohr verschwunden.
Das war der Sommer. Eine Zeit lang lenkte die gewissenhafte Resteverwertung von der Tatsache ab, dass die unauffällige Straße an der Grenze zwischen Mitte und Prenzlauer Berg längst zum Einflussgebiet der Besserverdienenden gehört. Jeder Zweite fährt hier einen Saab 93, vor einem der Häuser mit den Eigentumswohnungen parkt ein Porsche, denn Bausparen ist wieder cool, und das junge Pärchen gegenüber hat ein Billy-Regal, das nicht mehr in den Umzugswagen passte, auf die Rückwand von ihrem Cabrio gestellt. Gestern holten dann zwei Mittdreißiger mit Designerjeans ein Klemmbrett und eine Nikon Pocket aus dem Kofferraum ihres BMW Combi und machten eine Bestandsaufnahme der letzten unrenovierten Häuser, und mit den ersten kühlen Tagen ist auch der Container verschwunden. Beruhigend ist allein der Gedanke, dass sie in fünfzig, hundert oder tausend Jahren auch aus den Wohnungen mit DSL, Parkett und Einbauküche die Überreste eines beschädigten Lebens auf die Straße tragen werden. KOLJA MENSING
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen