Der Tanz der Architektur

Vom Libeskindbau zur Libeskindstadt: Zum zweiten Geburtstag widmet das Jüdische Museum eine Schau seinem Erbauer und zeigt zum ersten Mal in Deutschland den städtebaulichen Entwurf des Splatter-Architekten für „Ground Zero“ in Manhattan

von ROLF LAUTENSCHLÄGER

Im Jüdischen Museum stürzen die Linien auf die Besucher ein. Doch es sind nicht allein jene schrägen Wände, gezackten Räume und winkligen Ecken, die verwirren. Multipliziert wird das Prinzip der Dekonstruktion von Raum und Architektur noch einmal durch seine an die Wand gespiegelten Ursprungslinien, grafischen Zeichnungen und Konstruktionen. Das Jüdische Museum, von Daniel Libeskind 1999 fertig gestellt und 2001 eröffnet, erscheint quasi noch einmal; als Idee, Entwurf, Projekt und im Modell. So wie Libeskind es in einem vielfältigen Prozess geplant hat, tanzt es die Phasen seiner Entstehung vor: ein Davidstern wird zerlegt, wird dann neu zusammengefügt aus einem kalligrafischen Wirrwar und bildet schließlich jene bekannte Zickzack-Linie, die heute in der Lindenstraße zu bestaunen ist. Sie war der erste Bau des Architekten, der heute schon Legende ist.

Seit genau zwei Jahren gehört der spektakuläre „Libeskindbau“, wie das Jüdische Museum Berlin genannt wird, zum festen Repertoire von Museumsbesuchern der Stadt und noch mehr zu dem von internationalen Architekturfans. 1,4 Millionen Menschen sind seit der Eröffnung durch die Sammlung und Ausstellungen über die jüdische Geschichte in Deutschland flaniert. Die Hälfte davon, sagt W. Michael Blumenthal, Direktor des Hauses, noch immer mit dem „primären Interesse“ für das Bauwerk. Die Architektur zieht an, sie provoziert, stellt Fragen durch ihre Raumerlebnisse. Sie ist, so „schwierig“ sie auch erscheinen mag, ein animierendes bauliches Zeichen über die Geschichte und Gegenwart Berlins – das spürt man. Grund genug für die Museumsmacher, den Geburtstag des Gebäudes mit einer Libeskind-Sonderschau zu feiern.

„Kontrapunkt – Die Architektur von Daniel Libeskind“ verweist dabei in ihrem Titel auf einen Aggregatzustand, den Libeskind selbst längst hinter sich gelassen hat. Zwar sind erst vier Bauten von ihm fertig gestellt – der „Libeskindbau“, das Felix-Nussbaum-Haus in Osnabrück, das Imperial War Museum North (Manchester) und das Atelierhaus Weil (Spanien). Libeskinds Handschrift aber, jene Splatter-Architektur mit dem Hang zu tiefgründiger Symbolik, gehört bereits zum aktuellen Lehrinhalt an Hochschulen. Mag sein, dass der New Yorker Architekt in Berlin noch immer als Paradiesvogel firmiert, weil die zum Teil banale Architektur hiesiger Architekten als Maßstab gilt. Mag sein, dass man sich mit ihm als Ausnahmeerscheinung noch besser zu vermarkten hofft. Der Titel „Kontrapunkt“ ist jedenfalls zu hoch gehängt, wird zudem doch viel Bekanntes vorgeführt.

Das tut der Ausstellung aber keinen Abbruch. Hat man die feierlichen Selbstbespiegelungen mit den Entwürfen, Modellen und Videos zum Jüdischen Museum hinter sich gelassen und die Planungen für die Gedenkstätte in Sachsenhausen, die Entwürfe für den Wettbewerb Alexanderplatz oder Potsdamer Platz wie eine Retrospektive über Libeskinds frühen dekonstruktivistischen Geist der Zerlegung von Ort, Zeit und Geschichte bestaunt, wird es wieder spannend.

So stellt das Museum Zeichnungen Libeskinds aus, die weit über seine grafischen Architektur-Schnittmusterbögen hinausgehen. „Chamberworks“ umfasst 13 Tuschzeichnungen, mit denen man auf den Grund von Libeskinds Gedankenwelt kommt. Es sind schnell hingeworfene Interpretationen abstrakter Vorbilder. Man erkennt Chagal oder Kandinsky. Sichtbar wird auch die Musik – Libeskinds großes Hobby – durch schwingend vibrierende Linien. Gefasst und zugleich durchstoßen werden die zahllosen kleinen Striche und Strukturen oftmals von fetten Konturen, gleich einem ordnenden Rahmen.

In Libeskinds neueren Architekturen, etwa dem Jüdischen und Imperial Museum, aber auch den spiraligen Erweiterungen für das Victoria & Albert Museum (London) herrscht dieser Atem aus Abstraktion, aber auch Musik und Form. Die Bauten sind weniger aufgeregt, ruhiger, „harmonischer“. Die Choreografin Sascha Waltz hatte diese Ideen 1999 mit einer Tanzveranstaltung im noch leeren Jüdischen Museum aufgegriffen und die Tänzer zwischen den schrägen Wänden zu sich suchenden Figuren im Raum aus Körper, Musik und abstrakter Form werden lassen. Das wird in einem Video in der Ausstellung gezeigt.

Eigentlicher Höhepunkt der 16-teiligen Schau aber ist der preisgekrönte Entwurf des Architekten für „Ground Zero“ – wo bis zum 11. September 2001 das World Trade Center in New York stand. Erstmals wird in Deutschland die Libeskind’sche Erinnerungslandschaft aus authetischem Gedenkort und Memorialbauten, flankiert von einem schützenden Hochhauskranz, gezeigt. Patriotisch korrekt gipfelt das geplante Skyline-Ensemble im „Freiheitsturm“ – einem Zitat der Statue of Liberty.

Patriotisch nicht korrekt ist der öffentliche Raum, den Libeskind am Fuß der Türme einrichten will. Er ist, neben der Architektursprache und der Büroflächenzahl, Zankapfel zwischen dem Investor Larry Silverstein und Libeskind. „Natürlich werde ich nicht jedes Gebäude bauen“, sagt Libeskind, dem Silverstein den Zweitplatzierten Childs vorsetzen will. Das sei normal angesichts der Dimension des Vorhabens. Dennoch will der Architekt nicht vom Gesamtkonzept lassen, das Ground Zero ein neues städtebauliches Gesicht gibt: nach dem Libeskindbau eine Libeskindstadt.

Die Ausstellung in Zusammenarbeit mit den Barbican Art Galleries, London, ist ab 10. September bis zum 14. Dezember im Jüdischen Museum zu sehen