Muktada Sadr hält Irak in Atem

Der radikale Prediger soll bei US-Angriff verletzt worden sein. Amerikaner umstellen heiligen Bezirk von Nadschaf. Iraks Regierung verhandelt mit Sadr

„Wir lassen uns ein- oder zweimal an der Nase herumführen, ein drittes Mal nicht“„Wenn wir uns jetzt nicht durchsetzen, ist das das falsche Signal für all unsere Gegner“

aus BAGDAD INGA ROGG

Verlassene Straßenzüge, die eisernen Rollläden vor den Geschäften heruntergelassen, nur selten das Knallen von Gewehrsalven oder Mörsergranaten – einen Tag nach den schweren Kämpfen hing am Freitag eine seltsame Ruhe über Nadschaf. Vertreter der irakischen Regierung und des militanten schiitischen Predigers Muktada Sadr sollen einen Waffenstillstand vereinbart haben, hieß es gestern Mittag in Bagdad. Nach Angaben von Innenminister Falah al-Nakib ist dieser seit Donnerstagnacht in Kraft. Die Regierung verhandle über einen Abzug des Predigers und seiner Miliz aus dem heiligen Bezirk um den Schrein von Imam Ali.

Am Morgen hatten Berichte über eine angebliche Verletzung des Predigers für Verwirrung gesorgt. In Nadschaf traten am Freitagmorgen Vertreter von Sadr unter Tränen vor die Presse und teilten mit, Sadr sei bei einem amerikanischen Angriff in den Morgenstunden an Brust, Arm und Bein verletzt worden. Er sei jedoch außer Lebensgefahr und werde in einem Feldlazarett behandelt, sagte sein Sprecher Ahmed al-Schinabi. Dieser Darstellung haben Regierungsvertreter umgehend widersprochen. „Sadr ist nicht verletzt“, sagte der Generalsekretär des Verteidigungsministeriums, Brusk Schaweis, der taz.

Am Abend zuvor hatten amerikanische und irakische Einheiten das Anwesen von Sadr in der Nähe der Grabmoschee von Imam Ali durchsucht, von Sadr fehlte freilich jede Spur. Er gehe davon aus, dass die Nachricht von Sadrs Verletzung eine Finte sei, um die Flucht des Militanten zu kaschieren, sagte Schaweis. Vermutlich habe Sadr die heilige Stadt nach dem Aufruf an seine Anhänger vor zwei Tagen, bis zum letzten Blutstropfen zu kämpfen, verlassen, spekulierte der hohe Militär. Aus dem Innenministerium hieß es hingegen, Sadr selbst leite die Verhandlungen mit der irakischen Regierung.

Der heilige Bezirk um die Grabmoschee ist seit vorgestern von amerikanischen Truppen umstellt, die wenigen offenen Zugänge werden von irakischen Sicherheitskräften kontrolliert. Damit ist die „Mahdi-Armee“ des Militanten von sämtlichen Versorgungs- und Nachschubwegen abgeschnitten. Dies dürfte am Ende den Ausschlag für den Sinneswandel Sadrs gegeben haben, der am Tag zuvor unter seinen Anhängern noch mit Durchhalteparolen Stimmung machte.

Trotz der Gespräche haben die amerikanischen Einheiten den Belagerungsring um den heiligen Bezirk und den Friedhof am Freitag nicht gelockert. Die Operation zur Isolierung der Sadr-Miliz dauere an, erklärte der stellvertretende amerikanische Oberkommandierende, Erv Lessl, in Bagdad. Gleichzeitig sagte Lessl aber auch, die Multinationalen Truppen hätten strikte Anweisung, nicht Jagd auf den Prediger zu machen und von Operationen in den Zonen um die beiden Heiligtümer in Nadschaf und dem benachbarten Kufa abzusehen. Darüber hinaus gaben Kommandeure vor Ort an, sie hätten strikte Order, nur zur Selbstverteidigung zur Waffe zu greifen. Ungeachtet der Gespräche in Nadschaf, gingen irakische Sicherheitskräfte in Kufa gegen die Miliz vor. Trotz der kriegerischen Töne in den vergangenen Tagen hat die irakische Regierung die Tür für Verhandlungen nie ganz zugeschlagen.

Allerdings scheint sie nicht bereit, sich noch einmal auf die Volten Sadrs einzulassen. Nach den Auseinandersetzungen im Frühjahr hatte Sadr in die Demobilisierung seiner Miliz eingewilligt, dann aber das Zentrum von Nadschaf in seine Gewalt gebracht. „Wir lassen uns einmal oder zweimal an der Nase herumführen, ein drittes Mal bestimmt nicht“, sagte Schaweis. Die Sadr-Miliz müsse sämtliche Städte räumen und die Waffen an die Regierung abliefern, forderte er.

Für die Regierung gehe es um ein Signal an alle Untergrundgruppen im Land. „Wenn wir uns jetzt nicht durchsetzen, ist das ein Signal an alle unsere Gegner, dass hier jeder nach Gutdünken zur Waffe greifen kann“, sagte Schaweis.

Der kurdische Politiker weiß wovon er spricht, immerhin hat er jahrelang Peschmerga-Einheiten gegen das frühere Regime kommandiert.

Obwohl die Sadr-Milizionäre der amerikanischen Übermacht aussichtslos unterlegen sind, ist eine weitere Eskalation des Konflikts für die Interimsregierung politisch riskant. Bei den Kämpfen wurden nach Angaben des Gesundheitsministeriums seit Mittwoch mindestens 172 Personen getötet und 643 verletzt. Zwar ist der Unmut über Sadr unter den Schiiten allgemein groß, aber er schafft es weiterhin, tausende von Sympathisanten auf die Straße zu bringen.

In fünf Städten haben gestern Anhänger des Predigers gegen den Angriff der Amerikaner demonstriert. Vor der Grünen Zone im Zentrum von Bagdad, in der irakische Regierungsgebäude wie die amerikanische Botschaft untergebracht sind, skandierten tausende Menschen Antiregierungsslogans. An dem Aufmarsch beteiligten sich auch Polizisten, die Plakate des Eiferers an die Windschutzscheiben ihrer Polizeifahrzeuge gepinnt hatten.

Eine der größten Versammlungen gab es im südirakischen Diwanija, wo Anhänger Sadrs das Büro des Wifak, der Partei von Allawi, stürmten.

In Basra entführten Anhänger des Schiitenführers einen britischen Journalisten und drohten mit seiner Ermordung, sollten die Amerikaner binnen vierundzwanzig Stunden nicht aus Nadschaf abziehen. Nach der Intervention von Sadr-Vertretern willigten die Entführer später aber in die Freilassung des Journalisten ein.