Die Literaturschlawiner

Listen, Seile, Rezensionen: Charles Simmons’ Literaturbetriebssatire „Belles Lettres“

Wer sich von Berufs wegen mit Literatur beschäftigt, weiß, dass ein Literaturkanon nie ultimativ, nur manchmal repräsentativ und im besten Fall ein Überblick sein kann; dass das Erstellen von Listen der 100 besten Bücher des Jahrhunderts oder 25 besten SchriftstellerInnen seit 1980 der größte anzunehmende Quatsch ist; dass aber dieser Quatsch oft den größten anzunehmenden Spaß bereitet und, nicht weniger wichtig, die größte anzunehmende Aufmerksamkeit bei der Konkurrenz weckt, und manchmal auch beim Publikum.

Wie so eine meist als Kanon aufgemotzte Liste zustande kommen kann und es insbesondere hinter den Kulissen einer einflussreichen Literaturzeitschrift so zugeht, erzählt der amerikanische Schriftsteller Charles Simmons in seiner hübschen Literaturbetriebssatire „Belles Lettres“. Es beginnt mit einem Witz von Simmons’ Erzähler Frank Page, der als Redakteur bei der fiktiven New Yorker Literaturzeitschrift Belles Lettres arbeitet: Warum erstellen wir nicht mal eine Liste mit den 25 besten amerikanischen Schriftstellern?

Den Witz möchte die Frau des Belles-Lettres-Verlegers hellauf begeistert in die Tat umgesetzt sehen, und der ist auch für Pages Kollegen ein „Knaller“. Also wird überlegt, aufgestellt, diskutiert, gewürfelt und gemischt, und am Ende weiß die Verlegergattin: „Den Harold Brodkey kennt doch keine Sau“, und nennt ihrerseits fünf Namen, die unbedingt noch zwischen Ginsberg, Updike, Bellow, Roth und die anderen gemogelt werden müssen. Selbstverständlich wird die Liste ein voller Erfolg und auf der ganzen Welt kommentiert.

Charles Simmons weiß, wie es zugeht im Literaturbetrieb, er war jahrzehntelang Redakteur der New York Times Book Review, und wahrscheinlich hat man 1987, als der Roman in den USA erschien, „Belles Lettres“ als Schlüsselroman gelesen, in dem sich viele amerikanische Literaturbetriebsmenschen der Achtzigerjahre wiedererkannt haben.

Doch auch ohne spezielle Kenntnis dieser speziellen Art von Betrieb dürfte man seinen Spaß an Simmons’ kleinem, leicht dahinschwebendem Roman haben; an der Sekretärin und Chefredakteursgeliebten, die einen Grahame-Greene-Roman rezensiert, ihre Rezension vollständig umgeschrieben bekommt, daraufhin aber vom Time Magazine eingekauft wird; an dem Büroboten, der Rezensionsexemplare verhökert und Bestsellerlisten manipuliert; und natürlich an den bislang unbekannten Shakespeare-Sonetten, die auf die Frage „War Shakespeare schwul?“ nur eine Antwort kennen: Ja!

Umso lustiger und abstruser es aber zugeht in Simmons Roman, umso stärker bahnt sich die Wirklichkeit ihren Weg: Bücher wollen verkauft, müssen besprochen werden, und wenn es nur wenig gute gibt, werden dann auch schlechte gut besprochen? Wie schlecht können Bestseller sein, ohne dass man mit einem Verriss die Käufer beleidigt? Wenn der eine Belles-Lettres-Chefredakteur „wurschtig“ ist, wie es in der schönen Übersetzung von Klaus Modick heißt, und keine Ahnung hat von Literatur, warum hat er dann nicht weniger Erfolg als sein beschlagener, gewissenhaft planender Vorgänger? Das sind so Fragen. Und passen die Shakespeare-Sonette nicht gut zwischen Hitlers Tagebücher und aktuelle Gottfried-Benn-Sensationen?

Angemerkt sei noch, dass es für diese Rezension kein Abendessen vom C. H. Beck-Verlag gab, keine ganzseitige Anzeige, kein nichts, nur das Buch. Alles ganz sauber hier! GERRIT BARTELS

Charles Simmons: „Belles Lettres“, aus dem Englischen von Klaus Modick; Übersetzung der Sonette: Ulrike Draesner, C. H. Beck 2003, 183 S., 17.90 €