„Ärzte wollen nicht verzichten“

Nicht nur städtische Kliniken haben Vorbehalte gegen eine neue Arbeitsorganisation, sagt Lars Herrmann

taz: Herr Herrmann, was müssen Krankenhäuser tun, wenn der Europäische Gerichtshof heute sagt, Bereitschaftsdienste sind auch in Deutschland Arbeitszeit?

Lars Herrmann: Die Krankenhäuser werden spätestens mit der anschließend anstehenden Gesetzesnovelle ihre Organisation ändern müssen. Bis zu 36 Stunden dauernde Dienste für Ärzte wird es wohl nicht mehr geben dürfen.

Schon bisher haben viele Häuser versucht, Arbeitszeiten zu entzerren. Das scheiterte dann manchmal auch an den Ärzten …

Die Ärzte fürchten zweierlei: Einmal machen die langen Dienste einen beträchtlichen Anteil ihres Einkommens aus, auf den viele nicht verzichten wollen. Außerdem ermöglichen lange Arbeitszeiten eine Verkürzung der Ausbildung, weil sie mehr Gelegenheiten für interessante Operationen und Untersuchungen bieten.

Aber was sollen die Krankenhäuser dann tun?

Eine interessante „Brücke“ sind Wahlarbeitszeiten. Das hat etwa der Landesbetrieb Krankenhäuser in Hamburg bereits eingeführt. Hier können Ärzte wählen, ob sie durchschnittlich 48 Stunden oder lieber 38,5 Stunden arbeiten wollen. Dann wird es auch für die Ärzte attraktiv, die aus finanziellen Gründen noch am Bereitschaftsdienst hängen, auf kürzere Dienste umzusteigen und sich von überkommenen Arbeitsstrukturen zu lösen.

Warum bewegen sich die Krankenhäuser so langsam?

Die meisten Krankenhäuser sind bislang traditionell und hierarchisch organisiert. Marktwirtschaftliches Effizienzdenken gibt es im regulierten Scheinmarkt kaum.

Was hat Marktwirtschaft damit zu tun?

Die bisherige Krankenhausvergütung hat lange Liegezeiten und ineffiziente Abläufe eher belohnt. Dazu kommt, dass für ärztliche Karrieren oft nach wie vor lange Präsenzzeiten erwartet werden: Morgens müssen alle da sein und abends – während der Chefarztvisite – ebenso. Dies wird sich ändern müssen, weil die Häuser ihr Geld bald nicht mehr nach Liegedauer der Patienten, sondern nach der Zahl der behandelten Fälle bekommen.

Wie wirkt sich dabei die Konkurrenz zwischen privatisierten und kommunalen Kliniken aus?

Private setzen oft von vornherein mehr auf Innovation, während viele städtische Häuser sich unwillig von der Gesetzgebung treiben lassen. Doch auch hier ändert sich bereits etwas: Die zunehmende Knappheit am Arbeitsmarkt führt dazu, dass gerade auf dem Lande die Kliniken den Ärzten mehr bieten müssen, um ihre Stellen zu besetzen. Die „stille Reserve“, die vor allem aus Frauen besteht, müssen sie mit attraktiveren Arbeitszeiten locken.

INTERVIEW: ULRIKE WINKELMANN