Straßenzirkus ohne Tiere

Gespräch mit der künstlerischen Leiterin des Festivals „La Strada“: Gabriele Koch. Auf der Suche nach dem Kunstbegriff, der über dem Straßentheaterspektakel thront. Jubiläums-Etat: 65.000 Euro

Ein freudlos durchs kalte All rotierender Stein wäre die Erde. Gäbe es nicht all die fahrenden Sänger, poetischen Akrobaten und Spielleute, die so schön das romantische Bild illusionieren können, auf der Straße frei und zu Hause zu sein. Von den Musen geküsste Menschen, an deren Schuhen der Marmorstaub der Antike ebenso klebt wie der Straßenkot des Mittelalters und die Kaugummis der Moderne. Schon immer haben sie die Bösewichter verlacht, die Anständigen ermutigt, die Unglücklichen ein wenig getröstet und Verstockte ordentlich wachgerüttelt.

Das versuchen auch beim zehnten La Strada-Festival etwa 50 Künstler aus elf Nationen. 130 Shows (2003 waren es noch 150) wird es vor allem umsonst & draußen geben: vom 20. bis 22. August zwischen Kajenmarkt und Viertelfest.

Aber das große Jubiläumsfest wird es nicht. Die Bremen Marketing Gesellschaft, die La Strada 1995 als Werbeträger für die Hansestadt entdeckt hatte, spendiert 50.000 Euro (2003 waren es noch 63.000), Sponsoren geben weitere 15.000 Euro. Das ist alles – und eben deutlich weniger als etwa beim 2000er Fest, als mit Expo-Geldern für 200.000 Euro zehn Tage lang Straßenkultur gefeiert werden konnte. Wir sprachen mit der künstlerischen Leiterin Gabriele Koch.

taz: Welches Image können Sie den Sponsoren verkaufen?

Gabriele Koch: Wir zeigen, dass Bremen so gar nicht verschlossen hanseatisch, sondern lustig, offen ist. Aber wir sind halt nicht die einzigen Bremen-Promoter – und haben daher schon überlegt, La Strada in ein Dorf zu verlegen, wo wir das Ereignis des Jahres wären.

Welche Probleme gibt es beim Sponsoring?

Wir gehören nicht zur klassischen Hochkultur, und da ist es schwer zu vermitteln, dass open air nicht gleich schmuddelig bedeutet. Auch ist unser Programm für jedermann – während Marketingleiter mit Sponsoring immer nur ihre ganz spezielle Zielgruppe ansprechen wollen.

Ist La Strada Pop-Kultur oder Volkstheater?

Auf alle Fälle keine Comedy, diese platte Lustigkeit finde ich überhaupt nicht witzig. Wir sind auch kein Boulevard, weil wir viel Improvisationen bieten.

Theater ohne Stück? Theatralisierung der Akrobatik?

Jein. Straßenzirkusfestival ohne Tiere.

Jonglieren, Feuerspucken: das Circensische – fällt das auch unter Kunst?

Auf Jonglier-Conventiones sehe ich 8.000 Jongleure, davon würde ich vielleicht einen einladen zu La Strada. Bei dem kippt besonders ausgefeiltes Kunsthandwerk in Kunst.

Kunst, weil eine Geschichte erzählt, in Rollen geschlüpft, getanzt, auch musiziert wird?

Ja, genau. Tr’espace etwa verlagern die Vertikale ihres Handwerks, Diabolo hochwerfen und wieder auffangen, in die Horizontale: hin und herschleudern. Es sieht so aus, als ob das Diabolo steht und die Akrobaten drum herum wirbeln. Das ist Tanz. Das ist neu, spannend – nicht nur Handwerk und Sport.

Aber ist es gleich Kunst? Sie benötigt doch den Mehrwert, auf dass sie eine Form findet für einen Inhalt.

Darüber habe ich noch nie so richtig nachgedacht.

Ist Diabolo-Wirbelei nur eine atemberaubende Form, oder öffnet sie Assoziationsräume? Kann Jonglage in ihrer komplizierten Einfachheit auch als Metapher für unseren alltäglichen Existenzkampf dienen: es gibt keine Sicherheit; was runterfällt, liegt unten; das Leben wie die Kunst ist vergänglich? Oder handelt es sich bei La Strada um spaßvogeligen Hochleistungssport?

Bei der circensischen Kunst unseres Festivals spricht niemand in seiner Kunstform über ein Thema. Der Inhalt der La Strada-Kunst ist Unterhaltung.

Wenn sie aber der Inhalt, das Ziel und der Effekt der La Strada -Kunst ist, dann wäre die Unterhaltung purer Selbstzweck. Also doch Boulevard?

Nein, John Melville zum Beispiel, der vermittelt auch was, der rüttelt auf, zeigt in eigensinniger Art was auf.

Was denn?

Der fragt, wer ist eigentlich Europa-Abgeordneter für Bremen. Das kann bestimmt keiner im Publikum beantworten.

Die kabarettistisch vermittelte Einsicht, dass uns Europa nicht interessiert?

Nicht Kabarett, Clownerie und Pantomime mit politischem Ansatz.

Der wird in der Kunstszene ja eher der Street Art -Bewegung attestiert: Verlierer der sozialen Umbrüche erobern sich mit Sprayen, Betanzen, Malen, Musizieren den ihnen enteigneten öffentlichen Raum zurück. Sehen sie da eine Beziehung zu La Strada ?

Früher war das so, als wir ohne große Ankündigung Orte nutzten wie den Domplatz – und plötzlich waren Hunderte Zuschauer da. Heute auf den Bühnen und am Wall ist das anders.

Was hat sich noch in den letzten zehn Jahren verändert?

Alles ist professioneller geworden. Bei uns spielt man nur auf Festgage, nicht „auf den Hut“. Und die Einzelkünstler arbeiten vermehrt zusammen: Comedian, Musikant und Artist treten als Kleinkunsttrio auf.

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