„Ich bin eine sehr gute Beifahrerin“

Heidi Hetzer

„Ich unterstütze wahnsinnig gerne Frauen, weil ich selbst erlebt habe, wie schwer sie es haben. Aber Frauen, die nicht echt sind, da werde ich sauer. Die möchten, dass ihnen die gebratenen Tauben in den Mund fliegen“

Die 256 PS-Corvette faucht, brüllt und will nicht so wie Heidi Hetzer. Das Verdeck klemmt, das Wenden dauert. Aber dann geht es mit quietschenden Reifen die Tiefgaragenrampe hoch, für den Fotografen. Charlottenburg staunt. Heidi Hetzer führt ein Autoleben. Sie besitzt das größte Opel-Haus der Stadt mit 130 Mitarbeitern. Hetzer – 67 Jahre alt, zwei erwachsene Kinder, geschieden – behauptete sich immer unter Männern: als Kfz-Handwerkerin, als Autovermieterin, bis heute als Geschäftsfrau. Ihre 23 Oldtimer fährt sie auf Rallyes aus. Eine ganze Seite für eine Frau, die ein Stück Berliner Autobahnbeton in ihrem Büro hortet („das letzte ohne Tempolimit“)? Wenn das mal gut geht

INTERVIEW ULRICH SCHULTE

taz: Frau Hetzer, die taz hasst Autos, Sie sind – vorsichtig gesagt – autoverrückt. Sie dürfen jetzt ein paar unserer Lieblingsthesen kommentieren. Ich widerspreche nicht – versprochen.

Heidi Hetzer: Auweia, da muten Sie Ihren Lesern ja viel zu.

Wir wollen flächendeckend Tempo 30 in den Wohngebieten der Stadt.

Warum?

Weniger Lärm, mehr Sicherheit, mehr Wohnqualität.

Aber der Motor wird doch lauter, wenn Sie runterschalten. 50 kann ich im vierten Gang fahren, 30 nicht.

Aber die Rollgeräusche … Entschuldigung. Die Sicherheit?

Na, dann dürften Sie gar nicht mehr fahren. Wenn Sie ein Kind mit zehn Kilometern in der Stunde anfahren, ist das genauso schlimm. Eltern müssen eben auf ihre Kinder aufpassen. Statt neuer Verbote würde ich die Leute mit sympathischen Schildern dazu anhalten, ruhig und entspannt zu fahren.

Auf jede Autostraße gehört ein Fahrradstreifen. Breit und rot.

Sage ich: wunderbar. Nur sollen dann diese Fahrradkuriere, die mitten auf dem Damm fahren, sie auch benutzen. Ich selbst fahre übrigens sehr gerne Rad.

Das Tempolimit auf der Autobahn müsste noch rigider sein.

Hm. Da habe ich natürlich große Schwierigkeiten. Es gibt ja kaum noch Autobahnen ohne Tempo 130. Für einige Strecken sollte schon gelten: Hier lassen wir die Verrückten aufeinander los.

Hielt Ihr Vater Sie für verrückt, als Sie 1953, also mit sechzehn, Kfz-Mechanikerin werden wollten?

Kfz-Handwerkerin hieß das damals noch. Nein, das war kein Problem. Ich wollte es unbedingt und hatte schon vorher in der Werkstatt mitgearbeitet.

Wie war das – als wohl einzige junge Frau Westberlins in diesem Beruf?

Am Anfang stand ich allein mit meinem Stullenbrot in der Ecke, keiner hat mit mir gesprochen – den Jungs in dem Alter war das peinlich, wer wollte sich da anbiedern, nicht? Dann aber hat der Lehrer gesagt: Kinder, kümmert euch mal um das Mädchen! Am nächsten Tag rannten alle auf mich zu und zerrissen mir fast den Mantel, weil sie mir raushelfen wollten.

Haben die Sie fachlich ernst genommen?

Ich habe nicht auf Püppchen gemacht und diesen Beruf geliebt. Ich war, wie ich war – deshalb haben sie das getan. Wenn Sie auf Show machen, durchschauen das die Kollegen schnell.

Schwer zu glauben, dass es keine Probleme gab. Welche Rolle spielte, dass Sie die Tochter vom Chef waren?

Das kann ich nicht beurteilen. Ich habe meine Arbeit gemacht. Einmal wollte mir ein Kunde 50 Pfennig Trinkgeld geben. Da sagte einer von hinten: Na Mensch, doch nicht der Tochter vom Chef! In dem Moment habe ich das als Strafe empfunden. Aber sonst war ich wie die anderen. Ich weiß noch, ich habe im Hof mit einem Freund über die nächste Rallye gequatscht. Der Meister rief zweimal. Beim dritten Mal kam er und hat mir rechts und links eine gescheuert. Der Herr Krüger. Mein Vater hat das voll unterstützt.

Sie sind mit 20 von zu Hause abgehauen. Warum?

Ich musste mir beweisen, dass ich ich bin – nicht nur die Tochter meines Vaters. Als ich dann nach der Lehre als Vatis Assistentin arbeitete, kamen schon solche Sprüche: Die kann zum Friseur gehen, wann sie will. Also habe ich bei Nacht und Nebel von zwei Freunden meinen Tisch und den Fernseher mit Plattenspieler – Kubatruhe hieß das – runterschleppen lassen, in die Wiesenstraße 30 im Wedding. Zwei Zimmer, Küche, Toilette. Zwei Mechaniker und ein Verkäufer haben mir 300 Mark geliehen. Damit zahlte ich zwei VWs an und eröffnete eine Autovermietung.

Wieder eine mutige Entscheidung.

Mein Vater hat in seinem Betrieb ein Schild aufgehängt: Für die Schulden meiner Tochter komme ich nicht auf. Anfangs habe ich nebenher gearbeitet, als Bardame, in einer Zigarettenfabrik. Die Autos habe ich rund um die Uhr vermietet: Früh am Tag kostete es 20 Mark, hundert Kilometer frei. Wenn einer schon am Nachmittag zurückgab, wunderbar, habe ich den Wagen noch mal vermietet – an Leute, die ins Kino wollten. Nachts kamen die Jungs und klingelten zum Bumsen.

Bumsen?

2,50 Mark die Stunde kostete das Auto zum Bumsen. Na sicher. Wo ging man denn sonst hin? Ins Hotel nicht, dafür musste man verheiratet sein.

Wann haben Sie das Opel-Haus des Vaters übernommen?

1969 im November, da ist der Vati gestorben. Ich war 33. Inzwischen hatten wir das Hetzer-Haus an der Knobelsdorffstraße gekauft, das wir heute noch besitzen. Mit meiner Autovermietung war ich vorher schon wieder in seinen Betrieb gezogen, nachdem wir ein Jahr nicht miteinander gesprochen hatten. Zwischendurch war ich noch ein Jahr in Amerika und habe in Kalifornien bei einem portugiesischen Ford-Händler gearbeitet. Die General-Motors-Händler wollten alle kein Mädchen.

Was sagte Ihr Mann dazu, dass Sie zur Chefin wurden?

Er hielt sich von Anfang an aus der Firma heraus. Plötzlich trug ich die Verantwortung für – damals noch – 160 Mitarbeiter. Unsere Tochter war genau ein Jahr alt. Ich sagte mir: Jetzt kämpfst du. Ich habe ausgebaut, erweitert, als Erstes kam der Parkplatz dazu.

Einmal mehr als erste Frau unter Männern. Banker, Manager der Zentrale Rüsselsheim, andere Autohändler …

… guckten mich alle an wie ein Auto. Immer das gleiche bei Opel-Händler-Meetings: Huch, eine Frau! Aber diese Leute aus Hintertupfingen haben sich nicht getraut, was zu sagen. Ich redete immer los, um das Eis zu brechen. Wenn sie merkten, da spricht eine Fachfrau, schlug es ins andere Extrem um. Dieses Anhimmeln: Is ja toll, und das als Frau!

Frustriert dieser ständige Behauptungsdruck nicht?

Es nutzt ja nichts. Die konnten nichts dafür, dass die das noch nicht erlebt hatten. Ich habe mich immer auf einem Grat bewegt – freundlich sein, aber du willst ja nicht mit denen schlafen. Auch mal schick aussehen mit offener Bluse, aber bloß nicht zu anrüchig.

Fühlen Sie sich als feministisch denkende Frau?

Ich unterstütze wahnsinnig gerne Frauen, weil ich selbst erlebt habe, wie schwer sie es haben. Aber Frauen, die nicht echt sind, da werde ich sauer. Die machen tüchtigen Frauen viel kaputt.

Was meinen Sie mit „nicht echt“?

Die das Frausein ausnutzen wollen. Die möchten, dass ihnen die gebratenen Tauben in den Mund fliegen. Frauen müssen genauso tüchtig sein wie Männer – und ein bisschen mehr.

Haben Sie eine Quote im Betrieb?

Brauche ich nicht. Die ist in mir drin. Wenn ich zwei gleich gute Leute hätte, würde ich die Frau nehmen. Aber nach dieser Wahl entscheidet bei mir das Bauchmanagement.

Wie viele Frauen arbeiten bei Ihnen auf der höheren Ebene?

Gibt es bei mir ja kaum. In der Buchhaltung sitzen mit einer Ausnahme nur Frauen. Ich habe drei Verkäuferinnen. Die sind Spitze. Sie sehen gut aus, ich kann Sie Ihnen zeigen …

Nicht nötig.

… aber sie nutzen das nicht aus. Die drei sind selbstbewusst, fachkundig und treten auch so auf.

Es gibt unzählige Morgenpost -Artikel über Sie, die Fotos zeigen Sie mit Diepgen, Juhnke oder anderen Westberliner Größen. Könnten Sie woanders leben?

Nein. Ich bin eine hundertprozentige, waschechte Berlinerin. Ob vor der Mauer, mit der Mauer, nach der Mauer, immer habe ich diese Stadt geliebt – dieses Lebendige, Offene, es gibt Veranstaltungen ohne Ende.

Heute regieren Sozialisten, Berlin ist verarmt, Schlaglöcher werden nicht mehr repariert. Ist das noch Ihre Stadt?

Natürlich. Direkt nach dem Mauerfall war es furchtbar, Freunde zogen weg ins Umland. Aber nach einem Jahr kamen sie langsam wieder zurück. Einige sind aber in ihrer alten Mentalität hängen geblieben. Wenn ich denen vorschlage: Lasst uns uns am Gendarmenmarkt treffen, antworten sie: So weit, da drüben? Schrecklich.

Wie oft sind Sie in Friedrichshain?

Andauernd. Mein Sohn wohnt in Kreuzberg. Der ist übrigens ein ganz Grüner, den sollten Sie mal interviewen.

Bis Marzahn fahren Sie auch?

Sicher. Ich schneide mir aus Zeitungen aus, wo es gute Eisdielen oder Kuchen wie bei Muttern gibt. Ich fahre wahnsinnig gerne rüber. Das Wort „rüber“ stört mich, aber ich habe noch kein besseres gefunden. Das Beste, was die damals gebaut haben, ist der Fernsehturm – an dem orientiere ich mich, wenn ich mich verfahren habe. Nur einige Freunde im Westen beklagen sich jetzt bei mir. Zu DDR-Zeiten bin ich oft nach Wien, Hannover oder Gießen gefahren, nur weg durch die Scheißzone, dann konnte ich Gas geben. Eine Gießener Freundin meinte neulich: Komisch, seit die Mauer weg ist, kommst du nicht mehr.

Dieses Auto, in dem wir das Foto gemacht haben …

… eine Chevrolet Corvette, Baujahr 1957.

Wie viele BVG-Tickets kann ich mir dafür kaufen?

Jetzt muss ich rechnen. Die kostete damals 80.000 Mark. Hier sehen Sie, da steht es in den Papieren: Ein neutraler Gutachter schätzt den Wert auf 44.000 Euro. Ich bin das letzte Mal mit der U-Bahn zum Chamäleon Theater gefahren, da habe ich über zwei Euro bezahlt. Ganz schön teuer, früher kosteten Bahnfahren und ein Lutscher noch eine Mark.

Was verbraucht der Wagen?

Zwanzig Liter. Da schütte ich Super rein. Aber wissen Sie, was komisch ist?

Was?

Diese taz-Leute, die Grünen, diese umweltfreundlichen Menschen …

Ja?

… wenn die mich in einem der Oldtimer sehen, winken sie wie verrückt. Die finden so ein altes Auto schön. Dabei müssten die eigentlich sauer sein, bei dem Spritverbrauch. Deshalb fühle ich mich gar nicht so schlecht – weil ich weiß, dass ich sogar denen eine Freude mache. Verkaufen tue ich ja saubere Autos.

Sie haben 23 Oldtimer in einer Tiefgarage stehen, von Ihrem Ferrari reden Sie wie ich von meinem Fahrrad. Sind Sie dekadent?

Nein, sonst hätte ich längst mein Goggomobil abgeschafft – das ist ja Understatement. Ich spende, ich fahre mit den Autos bei Benefizveranstaltungen mit – ich tue, was ich kann. Aber in diesem Jahr wird es weniger, da unser Betrieb zum ersten Mal Minus machen wird.

Was sind Sie eigentlich für eine Beifahrerin?

Ich reiße mich nicht darum, aber ich bin eine sehr gute Beifahrerin. Wenn’s irgend geht, setze ich mich nach hinten. Damit ich gar nicht daran teilhaben muss. Ich halte mich für einen ganz vernünftigen Menschen. Nur ohne Auto bin ich amputiert.