Ja, wohin laufen sie denn?

Die landesweiten Montagsdemonstrationen gegen Hartz IV haben die Organisatoren des Berliner Protests überrascht. Erst heute ziehen sie mit einer eigenen Demo nach. Wer sich daran beteiligt, ist völlig offen. Selbst Neonazis rufen zum Protest

VON FELIX LEE

Berlin hat beim Hartz-IV-Protest nicht geschlafen. Im Gegenteil: Bereits im Juni saßen Vertreter von Sozialinitiativen, Studentengruppen, linken Antifa-Gruppen, Gewerkschaften und Attac beim „Stadtpolitischen Kongress“ an einem Tisch, um für Berlin eine große Kampagne gegen Hartz IV vorzubereiten. Nach der Sommerpause irgendwann im September wollten sie loslegen. Doch dann kam Magdeburg. In nur drei Wochen dehnte sich der Montagsprotest über dutzende Städte Ost- und mittlerweile auch Westdeutschlands aus. Nun sehen sich die Berliner Aktivisten gezwungen, ihre Herbstkampagne auf den Spätsommer vorzuziehen. Vor sechs Tagen traf sich ein spontan entstandenes Bündnis zum ersten Mal, heute soll es bereits so weit sein: Rund 40 Gruppen und Initiativen rufen dazu auf, ab 18 Uhr vom Alexanderplatz zur SPD-Zentrale am Halleschen Ufer zu ziehen. Die Montagsdemonstrationen gegen Hartz IV haben auch die Hauptstadt erreicht.

Mit einer solchen Protestdynamik habe er einfach nicht gerechnet, sagt ein Aktivist vom Berliner Sozialbündnis. Von einer „wahren Bewegung von unten“ spricht Attac-Aktivist Pedram Shahyar. Und doch geben die Veranstalter zu, der Demo „ein wenig unsicher“ entgegenzufiebern. Denn zu Recht stellt sich die Frage, welchen Charakter ihr Protest annehmen wird.

Die Ungewissheit fängt bereits mit der Teilnehmerzahl an: „5.000 sind okay, 10.000 ein Erfolg“, sagt Shahyar. Zwischen 1.000 und 15.000 Teilnehmern sei alles drin, sagt ein Mitaktivist. Weder hat es Plakate gegeben noch viele Flugblätter – nur ein paar Aufrufe im Internet. Bereits am vergangenen Wochenende hatten sich spontan 200 Menschen auf dem Alexanderplatz versammelt, um ihren Frust über die verhasste Arbeitsmarktreform kundzutun. Die Wut der Menschen sei groß und gehe querbeet durch alle Schichten, sagt Shahyar. Und doch stellt sich die Frage: Warum erst jetzt der Massenprotest, wo die Reformpläne schon seit Monaten bekannt sind?

Unbeantwortet bleibt auch, wer überhaupt teilnimmt: Aufgerufen und vorbereitet haben die Demo die üblichen Verdächtigen, also altbekannte Aktivisten, die das Volksbegehren initiieren oder die Wahlalternative vorbereiten und bereits seit Jahren Aktionen und Demos gegen Sozialabbau organisieren. Dabei konnten sie aber selten mehr als tausend Teilnehmer auf die Straße mobilisieren – es sei denn, sie bekamen wie am 3. April Unterstützung von Gewerkschaften, die mehrere zehntausend Demonstranten in Bussen nach Berlin karrten. Auch wenn einige Einzelgewerkschaften mit aufrufen, der DGB-Bundesvorstand hat angekündigt, den Montagsprotest vorerst nicht zu unterstützen – der organisierte Arbeiterwiderstand wird also nicht kommen. Wer aber dann wird heute auf die Straße gehen? Eine „Volksfront“, wie es Kanzler Gerhard Schröder bezeichnet?

„Eine breite soziale Bewegung kann halt nicht am runden Tisch vorbereitet werden“, sagt Shahyar. Und sieht durchaus ein Problem mit „rechten Rattenfängern“. Der Berliner Verfassungsschutz hat zwar noch vor einigen Tagen Entwarnung gegeben, er habe keine Hinweise darauf, dass sich rechtsextreme Gruppen an der Demo beteiligen werden. Ein Blick auf die Website der NPD belegt jedoch, dass Neonazis sehr wohl zur Teilnahme aufrufen: „Heraus zur Montagsdemo“, heißt es da. Gruppen wie die Antifaschistische Linke Berlin (ALB) sind bereits vorgewarnt und kündigten an, „aktiv gegen eine Beteiligung rechtsradikaler Gruppen“ vorzugehen. Parolen wie „Wir sind das Volk“ wollen sie mit einem eigenen Lautsprecherwagen übertönen.