leere löcher in der wand von RALF SOTSCHECK
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Der Besuch im Blumenladen in der westirischen Stadt Gort erwies sich als abenteuerlich. Vor dem Geschäft waren ein halbes Dutzend Polizisten postiert. Zur Unterstützung hatten sie ein Rudel Soldaten mitgebracht, Gewehr im Anschlag. Neigen Blumenfreunde neuerdings zur Gewalt, oder wurden im Laden seltene Orchideen gezüchtet, die floristisch orientierte Gangsterbanden anlockten?

Die Aufmerksamkeit der bewaffneten Staatsdiener galt, so stellte sich heraus, dem Geldautomaten neben dem Blumenladen. Raubüberfälle auf das Personal der Sicherheitsfirma Brinks, die die „Löcher in der Wand“ – wie die Automaten in Irland genannt werden – auffüllen, sind bei der Dubliner Unterwelt in Mode gekommen, weil die Angestellten unbewaffnet sind. In diesem Jahr gab es bereits 40 Überfälle, im gesamten Vorjahr waren es nur 34.

Die Polizei hat nun „Operation Delivery“ ausgerufen und überwacht die üblichen Verdächtigen in Dublin. Die haben ihre Aktivitäten inzwischen an die Westküste verlegt, denn an Irlands Ostküste sind die Automaten seit einigen Wochen leer. Dort streikt das Brinks-Personal nämlich.

Die Geschäftsführung, der die ständigen Überfälle in Dublin und den Regionen um die Hauptstadt herum auf die Nerven gingen, hatten neue Sicherheitsvorkehrungen ausgeheckt. Bei einem Überfall sollten die Angestellten künftig nicht mehr seelenruhig das Geld aushändigen, sondern der Fahrer des gepanzerten Wagens muss nun davonfahren und seinen Kollegen, der zur Bestückung des Automaten ausgestiegen ist, zurücklassen. Die Brinks-Angestellten argumentierten, dass die Räuber dann möglicherweise schlechte Laune bekommen und sie an dem einsamen Kollegen auslassen könnten. Deshalb füllen sie die Automaten seit Mitte Juli gar nicht erst.

Die Überfälle lohnen sich, oftmals beträgt die Beute eine halbe Million Euro. Im Vergleich zu den Räubereien der betroffenen Banken ist das freilich ein Pappenstiel. Die ziehen der Kundschaft das Geld viel subtiler aus der Tasche. Die Allied Irish Bank, Irlands größtes Bankunternehmen, hat für das erste Halbjahr stolz einen Rekordprofit von 670 Millionen Euro vermeldet. Diese Prahlerei ist unverschämt, ist die Bank doch gerade erst der Steuerhinterziehung und des Betruges an ihren Kunden überführt worden. Sie schlug heimlich auf ihre Gebühren einen bestimmten Prozentsatz auf und erbeutete so 8,1 Millionen Euro. Bei anderen Banken ist diese Praxis ebenfalls sehr beliebt. Sanktionen hatten die Geldinstitute bisher nicht zu befürchten: Das Gesetz, das sie dazu zwingen soll, ergaunertes Geld wieder herauszurücken, tritt erst im Laufe dieses Monats in Kraft.

Sind etwa erboste Kunden, die sich ihr Geld auf diese Art zurückholen, für die Raubüberfälle verantwortlich? Manches spricht dafür, denn bisweilen gehen die Diebe recht ungeschickt vor. In Wexford im Südwesten der Insel hatten sie neulich einen Bagger gestohlen, um den Geldautomaten aus der Wand zu brechen. Dabei rissen sie jedoch die gesamte Wand ein, die dann den Geldautomaten unter sich begrub. Offenbar lesen diese Amateure keine Zeitung. Wegen des Streiks wäre bei dem Automaten kaum etwas zu holen gewesen.