: Klasse in Masse
Jetzt Studiengebühren zu fordern ist absurd. Bevor Studierende für die Lehre zahlen, sollten die Universitäten erst einmal die Qualität der Ausbildung verbessern
Mit der Einführung von Studiengebühren würden für Deutschlands Hochschulen bessere Zeiten anbrechen, behaupten die einen. Die anderen sehen darin nach Praxisgebühr, Rentenbesteuerung, Hartz IV eine Fortsetzung des Sozialabbaus. Beide Seiten verfehlen den Kern des Problems. Die Hochschulen müssen erst einmal ihre Lehre reformieren, dann könnte man auch über Studiengebühren reden.
Das Verbot von Studiengebühren für ein Erststudium wurde auf Betreiben von Bundesbildungsministerin Bulmahn vor jetzt zwei Jahren in das Hochschulrahmengesetz (HRG) eingefügt. Langzeitstudiengebühren gibt es dagegen mittlerweile in fast allen Bundesländern.
Unter Experten ist die Diskussion über die Einführung von Studiengebühren auch nach dem Verbot weitergeführt worden, doch ohne dass die Öffentlichkeit Notiz davon genommen hätte. Erst jetzt scheint die Diskussion Fahrt aufzunehmen, da das Bundesverfassungsgericht die ebenfalls mit dem HRG eingeführte Juniorprofessur gekippt hat – mit der Begründung, dass der Bund damit seine Kompetenzen überschritten habe. Das lässt vermuten, dass das Studiengebührenverbot das gleiche Schicksal erleiden wird, denn dagegen sind ebenfalls Klagen anhängig.
Die unionsregierten Ländern arbeiten schon daran, wie Studiengebühren bald einzuführen seien. Und auch die Grünen meinen, man müsse dem erwarteten Spruch des Bundesverfassungsgerichts mit einem eigenen Vorschlag zuvorkommen. Die Arbeitgeber melden sich zu Wort, die Rektoren, die Studierenden und viele andere mehr.
Niemand fordert offen die Einführung von Studiengebühren zur Entlastung der Landeshaushalte, die entsprechenden Mittel müssten den Hochschulen zusätzlich zur staatlichen Finanzierung zur Verfügung stehen, so das wichtigste Argument der Befürworter von Studiengebühren. Dagegen gibt es eine ganze Reihe erfahrungsgestützter Einwände, aber die seien hier einmal dahingestellt.
Doch: Was eigentlich soll zur Verbesserung der Lehre geschehen? Dazu hört man nichts. Studiengebühren müssten letztlich so etwas wie „Drittmittel für die Lehre“ sein: zusätzliche Gelder, die jede Hochschule durch besonders gute Ausbildungsangebote einwerben könne – so der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Peter Gaehtgens. Die Studenten könnten dann den Druck auf die Hochschulen erhöhen und die Qualität der Lehre verbessern. Aber wie könnte eigentlich die Qualität der Lehre verbessert werden, und wie könnten Studierende darauf Einfluss nehmen? Was soll das zusätzliche Geld bewirken? Braucht man überhaupt zusätzliches Geld, um die Qualität der Lehre zu erhöhen? Lauter Fragen, auf die man keine Antwort erhält.
Denn mehr Personal verbessert die Lehre keineswegs automatisch. In einem Seminar mit hundert Studierenden ist „Seminararbeit“, also die Erarbeitung neuer Einsichten in gemeinsamer Diskussion nicht mehr möglich. Doch wenn „Seminararbeit“ wie so oft darin besteht, Texte nur ausführlich zu referieren und dann kurz darüber zu reden – und nicht darin, an ihnen exemplarisch etwas zu erarbeiten, was nicht drinsteht, dann wird diese schlechte Lehre nicht dadurch besser, wenn sie nur mit je 25 Studierenden bei vier Lehrenden abläuft.
Die folgenden Überlegungen zur Erhöhung der Qualität beziehen sich auf Geistes- und Sozialwissenschaften, auf Fächer also, in denen es keine Labors gibt, wie in den Naturwissenschaften, und keine Fälle zu lösen, wie in Jura. In diesen Fächergruppen muss erworbenes Wissen im Studium angewendet werden, kann und muss etwas geübt und korrigiert werden. Hier wird etwas „trainiert“. Dabei ist einigermaßen klar, was das Ergebnis geleisteter Arbeit sein müsste. Diese Voraussetzungen fehlen in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Man kann zwar auch dort Fähigkeiten trainieren, aber man wird nicht durch die Umstände dazu gezwungen.
Wenn man trainiert, weiß man irgendwann, dass man besser ist als zuvor, im Sport, in einer handwerklichen Ausbildung, auch in der Wissenschaft. Doch genau dieses Gefühl, etwas besser zu können als zuvor, also über bestimmte Kompetenzen zu verfügen, wird den Studierenden in den Geistes- und Sozialwissenschaften üblicherweise nicht gezielt vermittelt. Für unnötig lange Studienzeiten ist das vermutlich ein wesentlicher, wenn nicht der wichtigste Grund. Denn die in den Studienordnungen geforderten Leistungsnachweise als Voraussetzung für die Meldung zur Prüfung werden überwiegend in der Regelstudienzeit von etwa acht Semestern erworben. Für die Meldung zur Prüfung fehlt es dann am Zutrauen zu den eigenen Fähigkeiten.
Lehre ist erst dann qualitätvoll, wenn sie die Studierenden instand setzt, innerhalb der Regelstudienzeit zu einem Studienabschluss zu kommen, und ihnen zugleich Zutrauen zu ihren wissenschaftlichen Fähigkeiten vermittelt.
Ein wissenschaftliches Studium kann nicht nur im Erwerb von Wissen über Theorien oder Sachverhalte bestehen, man muss mit diesem Wissen auch umgehen lernen: also etwa analysieren, argumentieren, interpretieren, vergleichen, mit Theorien arbeiten und Modelle entwickeln – ganz zu schweigen davon, dass man auch fremde Texte in ihrer Argumentationsstruktur versteht und wiedergeben kann. All das lernen die Studierenden üblicherweise nicht, diese Fähigkeiten müssen sich allmählich entwickeln.
Schlimmer noch im Blick auf eine Änderung der Situation: auch die Lehrenden wissen es nicht besser. Sie sind auf die Vermittlung von Wissen fixiert, das sie abprüfen, schlimmstenfalls in Klausuren. Aber Kompetenzen gezielt erwerben zu lassen, das haben sie nicht gelernt. Von Studierenden hört man häufig die Klage, sie erhielten von den Lehrenden keine oder keine ausführlichen Rückmeldungen für Referate und für Hausarbeiten. Doch wenn man keine Überlegungen angestellt hat, was denn jenseits von Wissen an Kompetenzen vermittelt und trainiert werden muss, wenn man die Themen für Hausarbeiten nicht entsprechend gestellt hat, wenn man auch die jeweilige Veranstaltung nicht entsprechend angelegt hat – dann nützen offene Türen und ausführliche Besprechungen wenig.
Studierende müssen künftig erkennen können, was sie denn bei der Entscheidung für eine Hochschule erwarten dürfen. Dann vielleicht könnten sie durch „Abwanderung oder Widerspruch“ Einfluss auf die Qualität des Angebots nehmen – sofern die Finanzierung der Hochschulen davon betroffen wäre. Dann wären auch Studiengebühren zu verschmerzen, die in der gegenwärtig genannten Höhe für ein ganzes Studium ja kaum die Höhe der Lebenshaltungskosten eines Jahres erreichen. Doch zunächst müssten die Hochschulen genauer überlegen, was denn Qualität der Lehre sein soll und wie sie nicht nur durch Quantität verbessert wird. Mehr Geld allein bringt keine neuen Ideen. KLAUS DIETER BOCK