„Immer im Kopf des Sohnes“

Star-Regisseur Alfred Kirchner konzentriert seine Bremer Troubadour-Inszenierung auf Acuzenas mörderische Mutterliebe – umspielt von einer Musik zwischen Utopie und Wirklichkeit

Eine Premiere für Bremen: Alfred Kirchner gilt als einer der ganz großen Musiktheater-Regisseure. In den 70er-Jahren war er schon einmal als Assistent von Peter Zadek hier tätig. Stuttgart, Frankfurt, Bayreuth, Wien und New York waren seine wichtigsten Stationen. Dirigenten von Rang arbeiten gerne mit ihm zusammen, Michael Gielen bezeichnete ihn gar einmal als „den musikalischsten“ der lebenden Regisseure. Nun inszeniert Kirchner im Musicaltheater am Richtweg Giuseppe Verdis „Il Trovatore“ zur Spielzeiteröffnung. In dieser Oper ist für manche die Diskrepanz zwischen der gruselig konstruierten Story und der schmissigen Musik besonders groß: In der Geschichte von der rachsüchtigen Zigeunerin Acuzena, die einst ihr eigenes Kind versehentlich ins Feuer warf, Leonore, die sich in den Rebellen Manrico verliebt, vom Grafen Luna, der Leonore unsterblich liebt, sieht Kirchner Menschen, die sich in ihren Traumata, Vorstellungen und Illusionen auf das Spannendste verwickelt haben. Premiere ist am Samstag.

taz: Herr Kirchner, in einer Inszenierung von John Dew wurde die Oper in einer südamerikanischen Diktatur angesiedelt: Minderheiten gegen Mächtige, die Zigeunerin und ihr Sohn im Widerstand. Um was geht es bei Ihnen?Kirchner: In der Jetztzeit, wo Unterdrückung und Grausamkeit zur Fernsehunterhaltung geworden sind, gibt es nur eins: das Vergnügen am Denken zu wecken, an Fantasie, an Assoziation. Daraus entsteht in diesem Stück ein Menetekel, wo Menschen sich ihre Sehnsüchte erfüllen können, wo aber jede Chance eine letzte und verlorene ist. Sie sind im Kerker ihrer Befindlichkeiten eingeschlossen. Die gesellschaftliche Frage ergibt sich daraus.

Gerade „Il Trovatore“ zählt ja zu den unglaubwürdig konstruierten Geschichten, die vor allem als Vorwand für wirkungsvolle Arien und schmissige Chöre dienen. Wie passt denn die Geschichte vom Brudermordzu Verdis Musik?

Genau das ist die Herausforderung. Verdi hat sich an Schiller und Shakespeare orientiert und seine Musik ist immer das Abbild für den Wunsch nach der anderen Welt. Sie ist die Utopie und Realität gleichzeitig. Und ich möchte mal ganz kühn behaupten: Oper war damals Unterhaltung. Verdis Genie bringt das Unvereinbare zusammen, das Hoffen und den Witz, die Lebensfreude und die Tragik.

Wie erscheinen auf diesem Hintergrund die Hauptpersonen?

Bei Acuzena stehen sonst immer die Verbrennung ihrer Mutter auf dem Scheiterhaufen und ihre Rachegefühle im Vordergrund. Das ist es nicht, es sind damals in der Inquisition tausende auf dem Scheiterhaufen umgekommen. Mich interessiert mehr ihr leidenschaftliches Mutter-Sein-Wollen. Sie sitzt ihrem Sohn, der nicht der ihre ist, immer im Nacken. Sie ist in unserer Inszenierung immer im Kopf des Sohnes, sie ist bei der Liebesszene im Hintergrund, in der Kerkerszene sind die beiden zusammengefesselt, so eine Art umgekehrter Ödipus. Und diesen Sohn verliert sie oder opfert sich. Es ist für mich das wichigste, diese psychologischen Komponenten ganz klar herauszustellen. Und Luna: Ein Graf ist für uns nicht mehr erkennbar. Dass er angeblich so böse sein soll, dazu steht die Musik in krassem Widerspruch. Nein, er rennt seinem Schicksal genauso getrieben nach wie Leonora, deren triumphierend-kindliche Haltung über ihre Verliebtheit ja fast grotesk ist, auch etwas, was die Musik sagt. Natürlich muss am Ende die politische Dimension herauskommen, der Schock, dass der Bruder den Bruder umgebracht hat. Dass Gewalt nur wieder Gewalt erzeugt, das wissen wir inzwischen.

Das Stück spielt ja um 1400 in Aragonien. Was sehen wir bei Ihnen?

Zusammen mit dem Bühnenbildner Colin Walker stelle ich Räume her, die aus der Surrealität Realität entstehen lassen. Am Anfang haben wir ein Nachtbild, alle sind in Pyjamas. Die Menschen unterhalten sich wie im Traum mit der eigenen Seele, auf der Bühne entsteht dann ein Kloster, ein Zigeunerlager und vieles mehr. Dazu tauchen spanische Symbole auf. Ich kann das auch Erinnerungsräume nennen. Damit das entsteht, muss allerdings überscharf gespielt und musiziert werden. Und das Publikum muss natürlich mitarbeiten wie bei jedem guten Stück.

Welchen Partner haben Sie in Lawrence Renes?

Es ist eine fabelhafte Zusammenarbeit.

Fragen: Ute Schalz-Laurenze

Il Trovatore, Musicaltheater. Premiere: Samstag, 13. September, 19.30 Uhr