village voice
: Das Duo Modeselektor schmuggelt ein Fußball-Hörspiel auf eine Techno-EP

Wie viel Franz steckt in Rudi?

Letztes Jahr im Sommer: In der asiatischen Fremde spielen 22 Deutsche und Amerikaner eine Viertelfinalbegegnung der Fußball-WM aus. Die deutsche Mannschaft unter der Leitung von Rudi Völler führt nach 45 Minuten mit 1:0, die US-Boys berennen anschließend eine Halbzeit lang vergeblich das Tor Oliver Kahns. Im Schatten, aber mit einem Mikrofon bestückt, sitzt Johannes B. Kerner, oftmals als „Schleimaffe“ verschimpfter Talkmoderator des ZDF, und kommentiert das Geschehen für die Zusehenden an den heimischen Bildschirmen.

Schnitt: Zwei junge Techno-DJs, die ihre Platten unter dem Namen „Modeselektor“ herausbringen, sitzen vor einer Großleinwand in Mitte und probieren an ihren Sample-Geräten rum. Kurzerhand wird die gesamte zweite Halbzeit aufgenommen. Nach Spielende überlegen sie, wie sie den redseligen Kerner auf „effektive Redezeit“ reduzieren können. Beim Wiederhören wird klar: Alles raus, was keinen Namen hat. Nur ein paar Aufstöhner und die Leitmotivfrage „Wie viel Franz steckt in Rudi?“ bleiben.

Dass Techno und Fußball verwandt sind, ist offensichtlich, nicht zuletzt weil beide gerne mit den großen Boulevards liebäugeln: die Love Parade einerseits, die Bild-Zeitung – Effe! – andererseits. Im Techno regiert Sportswear. Schon in den Anfängen in England 1989 standen Fußballtrikots als Accessoire für Raver ganz oben. Zudem galten Heimarbeit an großen Geräten und Fußball schon immer als Jungsding, insofern war ein expliziter Bezug von Seiten des Technos nur eine Frage der Zeit. New Order leisteten schon 1994 mit ihrem Titelsong zur Fußball-WM „World in Motion“ Vorarbeit – und Modeselektor haben sie gern und oft aufgelegt und bis zur Unkenntlichkeit verfremdet. Jetzt aber gibt es von Modeselektor endlich den passenden Track zum eigenen Fantum.

Das Interessante ist, dass auf „Zweete Halbzeit“, Stück 2 ihrer neuen EP „Gains de Frau Vol. 1“, kein Beat läuft, kein Bass irgendetwas ein- oder erlösen könnte, sondern ganz mit Vocals gearbeitet wird: eben der Stimme J. B. Kerners. Das stellt nicht nur das Ende der Wortlosigkeit, sondern ein genreintern seltenes Verfahren dar: Wort als einziges Sample-Material. So entstand ein kleines, komplett untanzbares Hörspiel. Gewiss hat der Schriftsteller Ror Wolf bereits vor dreißig Jahren mit seinen aus den Radioübertragungen geschnittenen Cut-Ups Ähnliches geleistet, mit analoger Technik. Aber „Zweete Halbzeit“ ist eben frischer und neuer und hat eine eigene Idee.

Der Rest der neuen Modeselektor-EP ist heterogene Laptopmusik, mal ironisch vorgetragen ( Tekknoprostitutionsmaschine“ mit Dieter-Bohlen-Sample), mal unnahbar und klaustrophobisch. Das bislang recht kleine Gesamtwerk der zwei jungen Männer aus Mitte, die bürgerlich Sebastian Szary und Gernot Bronsert heißen, pendelt gerne zwischen den Polen Albernheit und Melancholie. Auf dem Cover von „Gains de Frau“, ihrer dritten EP, sieht man sie mit BZ-Kappe, Rastafrisur imitierendem Kabelsalat sowie mit freiem Oberkörper und um den Hals gehängten Boss-Distortion-Pedal stehen. Vom Vinyl-Label grinsen David Hasselhoff und Don Johnson. Für das Melancholische im Sound sorgen die von Rockbands wie The Notwist inzwischen etablierten Klickerbeats, über die tragende, in Moll gehaltene Synthie-Akkorde gesetzt werden; Labelchefin Ellen Alien trägt monotone, durch den Sampler gezogene Vocals bei („Trash Scapes Version“). Das ist zwar nicht neu, aber ausgereift und überzeugend. Selbst Radioheads Thom Yorke lobt das Elektro-Duo überall. Zu Recht.

RENÉ HAMANN

Modeselektor: „Gains de Frau Vol. 1“ (Bpitch Control/Zomba)