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: Bertis Schotten wollen Völler beim Wort nehmen

Schauer der Geringschätzung

Dass Berti Vogts an seinem Trainerstuhl zu kleben pflegt, wie es Rudi Völler im Rahmen seiner televisionären Philippika so charmant nahe legte, das weiß man auch in Schottland längst. Glückte dem kleinen Kleinenbroicher jedoch heute im Dortmunder Westfalenstadion (20.45 Uhr, ARD) der Coup aller Coups, ein Sieg oder Unentschieden gegen die Deutschen, die Schotten würden Vogts wahrscheinlich für alle Zeiten am Stuhle festbinden. Völler hingegen begänne in dem seinen heftig zu wackeln, und jedes einzelne seiner Worte vom Samstag stieße ihm vermutlich noch einmal überaus sauer auf.

Berti wäre natürlich nicht Berti, wenn er dem deutschen Teamchef die kritische Wertung seiner Leidensbereitschaft übel genommen hätte. Volles Verständnis äußerte er für Völlers Attacken auf Gurus, Ex-Gurus, Weizenbierfreunde und Aussitzer, zur Belohnung war es nicht seine Rückkehr, die Nationalspieler Wörns im Falle von Rudis Rücktritt fürchtete, sondern jene von Erich Ribbeck. Dennoch nicht ohne Ironie, dass ausgerechnet Berti Vogts seinen Nach-Nachfolger („Es gibt keine Kleinen mehr“) beim Wort nehmen und ihm den Rest geben könnte. Denn dass Völler im Falle der Nicht-Qualifikation für die EM die Brocken hinschmeißen wird, dürfte feststehen. Natürlich nicht gleich heute Abend, immerhin würde selbst eine Niederlage die Chance auf den Gruppensieg erhalten. Für den ehrenwerten Teamchef käme es kaum in Frage, die Mannschaft vor dem letzten Gruppenspiel am 11. Oktober in Hamburg gegen Island und den potenziellen Relegationspartien im Stich zu lassen.

Dafür ist es angesichts der inneren Zerfressenheit, die sein Rundumschlag gegen Pauschalkritiker offenbarte, gut möglich, dass Völler sogar nach erfolgreicher EM-Qualifikation zurücktritt. Die Frage ist, wie sehr ihn die Perspektive reizt, im kommenden Jahr in Portugal ein möglicherweise ähnlich erfreuliches Turniererlebnis wie die WM 2002 zu haben, und die Aussicht, das Team relativ stressfrei auf die WM 2006 in Deutschland vorzubereiten, für die es keine lästigen Qualifikationsspiele gibt.

Genau diese sind es ja, welche Völlers Mannschaft immer wieder harscher Kritik aussetzen – grauenhafte Partien gegen Gegner, deren Namen allein schon reichen, um bei altgedienten Kämpen wie Netzer oder Beckenbauer Schauer der Geringschätzung auszulösen. „Sollen wir uns an Malta oder Albanien messen?“, fragte Letzterer noch am Montag, „oder sollen wir Selbstvertrauen demonstrieren und uns mit den Besten messen. Ich bin für die zweite Variante.“ Bitte schön: Gegen die Besten, als da wären Brasilien, Frankreich, Argentinien, Italien, Spanien, Kamerun, Niederlande, hat das DFB-Team in den letzten Jahren ordentlich bis gut gespielt, wenn auch meist knapp verloren – mal mehr, mal weniger unglücklich. Und während die Besten bei der WM in Scharen ausschieden, wurde Deutschland Vizeweltmeister. Wo also liegt des Kaisers Problem?

Richtig! Bei Albanien und Malta, respektive Finnland, Litauen, Färöer, Schottland, Island, gegen die in der selben Zeit nahezu durchweg miserabel gespielt wurde. Was nichts anderes heißt, als dass die deutschen Fußballer zwar gut genug sind, den Platz zu nutzen, den ihnen ein selbstbewusster Gegner bietet, der offensiv und risikovoll spielt; dass sie aber – außer Kopfbälle nach Standardsituationen – absolut kein Mittel haben gegen Mannschaften, die sich komplett in die Abwehr zurückziehen und auf Konter lauern. Zum schnellen Kombinieren bei engem Raum fehlt die Technik, für öffnende Einzelaktionen das Dribbelvermögen.

Kann man aber jemandem vorwerfen, dass er nicht tut, was er gar nicht kann; dass jemand, obwohl er alles versucht, die 100 Meter nur in elf Sekunden und nicht in zehn läuft? Die gängige Antwort hierzulande ist: Man kann! Und genau dort setzte Völlers Kritik an, für die er sich laut Heribert Faßbender nun auch noch entschuldigen soll. Bleibt zu hoffen, dass er genau dies nicht tut – und dass er heute, um die lauernden Gurus und Hyänen zu bändigen, gegen Berti gewinnt. MATTI LIESKE