Konferenz im Schatten von al-Sadr

Der schiitische Geistliche nimmt an der Nationalkonferenz in Bagdad nicht teil und fordert seine Anhänger zur Fortsetzung des bewaffneten Kampfes auf. Die Waffenstillstandsgespräche sind zunächst gescheitert. In Nadschaf gehen die Gefechte weiter

AUS BAGDAD INGA ROGG

Kurden und Araber in ihren jeweiligen Landestrachten, Geistliche in Kaftan und Turban, Männer in Anzug und Krawatte, Frauen mit und ohne Schleier – die gestern in Bagdad eröffnete Nationalkonferenz zeigte das gesamte Mosaik an ethnischen, religiösen und politischen Strömungen im Zweistromland. Die dreitägige Versammlung soll die Mitglieder für die Nationalversammlung wählen und den Weg zur Demokratisierung des Landes ebnen.

Doch schon der Auftakt erinnerte die Versammelten daran, wie steinig dieser Weg ist. Von den 1.300 Delegierten war ein Viertel nicht angereist, weil sie entweder nicht rechtzeitig informiert wurden oder wegen der Unsicherheit auf den Straßen die Fahrt in die irakische Hauptstadt nicht antreten konnten. Das Konferenzgelände um das Kongresszentrum innerhalb der Grünen Zone wurde weiträumig abgeriegelt, und in verschiedenen Stadtteilen verhängte das Innenministerium eine Ausgangssperre. Kurz nach dem Beginn der Versammlung waren in der Nähe mindestens fünf schwere Detonationen zu hören, dabei wurde an einer Bushaltestelle eine Person von einem Granateneinschlag getötet.

Überschattet wurde die Konferenz von dem anhaltenden Konflikt mit dem schiitischen Eiferer Muktada al-Sadr in Nadschaf. Al-Sadr hatte eine Teilnahme mit dem Hinweis abgelehnt, das Treffen repräsentiere nicht den Willen der Iraker. Bei seinem ersten öffentlichen Auftritt seit Tagen und nach Spekulationen über seine Gesundheit verhöhnte er die Regierung Allawi am Wochenende als Agentenregierung, die schlimmer sei als der gestürzte Diktator Saddam Hussein. Zugleich forderte er seine Anhänger zur Fortsetzung des bewaffneten Kampfes auf. Das war wohl der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte und zum Scheitern der Waffenstillstandsgespräche führte. Seitdem stehen die Zeichen in Nadschaf wieder auf Krieg.

Er bedaure, das Scheitern der Bemühungen um eine friedliche Beilegung der Krise im Irak bekannt geben zu müssen, sagte der nationale Sicherheitsberater Mowafak al-Rubaei. Man habe alles unternommen, um weiteres Blutvergießen zu verhindern. Kurz nach dem Scheitern der Verhandlungen gab ein Sprecher des Innenministeriums die Verlegung von zusätzlichen Truppen nach Nadschaf bekannt. Dabei schließt man seitens der Regierung offenbar auch eine Stürmung der Imam-Ali-Moschee nicht mehr aus. Trotz der Vereinbarung vom Juni, in der al-Sadr die Räumung des heiligen Bezirks zugesagt hatte, hält er sich seit Wochen mit seiner Miliz in dem für die Muslime weltweit bedeutenden Heiligtum verschanzt.

Am Sonntagmorgen wurden alle Journalisten aufgefordert, Nadschaf zu verlassen. Man befürchte, dass die Al-Sadr-Miliz Anschläge auf die Pressevertreter plane, sagte der örtliche Polizeichef. Kurz darauf erschütterten schwere Explosionen und Schießereien die Pilgerstadt. Obwohl die amerikanischen Truppen nicht in die möglichen Auseinandersetzung auf dem Moscheegelände eingreifen sollen, haben sie den kurzzeitig gelockerten Belagerungsring wieder enger gezogen. In der ganzen Stadt patrouillierten US-Armeefahrzeuge und Panzer.

Aber auch Muktada al-Sadr bereitet sich auf die mögliche Entscheidungsschlacht vor. Aus Bagdad, aber auch aus Basra haben sich tausende Anhänger als „menschliche Schutzschilde“ auf den Weg nach Nadschaf gemacht. Nach Angaben des Leiters des Gesundheitsdepartments haben die Kämpfe der letzten zehn Tage 532 Tote und 583 Verletzte gefordert.

Für die Interimsregierung steht in dem Konflikt nicht nur ihre Autorität auf dem Spiel. Als Grabstätte des vierten rechtsgeleiteten Kalifen ist die Imam-Ali-Moschee auch Sunniten heilig. Indem sich al-Sadr als Führer des antiamerikanischen Widerstands im Irak stilisiert, gelingt es des Militanten, auch Sympathien im sunnitischen Kernland zu gewinnen. Dort wurden nach US-Angaben bei Bombardements in Samarra am Samstag 50 Personen getötet. Die Nationalkonferenz hat einen Ausschuss gebildet, der mit der Regierung über eine gewaltlose Lösung des Konflikts in Nadschaf verhandeln soll.