Zum Üben in den Urwald

Das Vertrauen in die Wahrheitsfindung schwindet stetig in John McTiernans Whodunit „Basic“. Übrig bleiben Travoltas gut geduschte Workout-Werte

Siebzehn Stunden später sind alle bis auf zwei tot, Feldwebel Eisenhart inklusive

von TOM HOLERT

Irgendwann sagt einer, der verletzt im Krankenbett liegt und bald aus den Ohren bluten wird (nachdem er gerade noch Andeutungen über seine vermeintliche Homosexualität gemacht hat): „Es gibt Abstufungen der Wahrheit“, degrees of truth. Wie Recht er hat! Facetten und Versionen der Wahrheit, das Wahre im Plural und das Falsche gleich dazu – das gibt es wirklich.

Warum aus dieser einschneidenden Erkenntnis nicht einen Film machen? In Anlehnung an den Wahrheitskatalog in „Rashomon“, mit üblichen Verdächtigen, militärischem Gepränge, Dschungelatmosphäre und etwas südlichem Karneval? Auf dass die Hitze der Irrungen und Wirrungen walle, die Wahrheiten, Orientierungen, Identitäten sich vervielfältigen, bis zum überraschenden (überraschenden!) Ende, das zu verraten in einer Rezension leider (oder zum Glück) nicht gestattet ist.

An der Wahrheit einiger Dinge sollen wir jedoch bitte nicht zweifeln: Etwa daran, dass in „Basic“ John Travolta und Samuel L. Jackson mitwirken, womit sie zum ersten Mal seit „Pulp Fiction“ vor einer Kamera standen (auch wenn sie, aus Drehbuchgründen, kaum gemeinsam im Bild erscheinen). „Basic“, so viel ist sicher, ist ein Starvehikel, ein Schauspielerfilm. Ein Männerwerk auch, in dem eine Frau (Connie Nielsen) zur Identifikation einlädt, weil sie 90 Minuten analog zum Publikum von einer leeren männlichen Wahrheitsbehauptung zur nächsten stolpert.

Samuel L. Jackson spielt einen Schleifer auf einer amerikanischen Militärbasis in Panama. Ein unangenehmer Ausbilder, der seine Befehlsketten auch dann noch ungerührt runterleiert, wenn der Rotorlärm des Hubschraubers längst jede zweite Silbe verschluckt. Er geht mit seiner Truppe zum Üben in den Urwald, um sie den Geschmack der grünen Hölle kosten zu lassen, aber siebzehn Stunden später sind alle bis auf zwei tot, Feldwebel Eisenhart inklusive.

Zur Aufklärung dieses Verlusts ruft der verantwortliche Oberst einen Kollegen aus früheren Zeiten (John Travolta), einen Spezialisten in Verhörtechnik, der einst selbst unter dem Drillsergeanten gelitten haben soll. Der virile Supertaktiker mit dem Outlaw-Aftershave hat es sich als Zivilist gemütlich gemacht in der schwülen Exotik von Panama City. Gleich am Start ist Travolta unter der Dusche zu sehen, um aktuelle Workout-Werte vorzuzeigen, denn fortan gibt er den Unwiderstehlichen.

Sein sexuelles Selbstbewusstsein erprobt er an Leutnant Osborne alias Connie Nielsen. Eigentlich wäre sie zuständig für die Ermittlungen, aber ihr Vorgesetzter spricht ihr die Befähigung ab – einerseits einfach der Beleg des üblichen Sexismus in Mainstreamfilmen, andererseits eine der „Wahrheiten“ des Military Entertainment Complex.

Travolta und Nielsen bilden fortan ein Team, zunächst widerwillig, dann immer inniger. Generös gibt der Profi Einblicke in die Geheimnisse erfolgreicher Befragung, die überlebenden Rekruten überwinden prompt ihr bockig-konspiratives Schweigen, die Offizierin staunt beeindruckt.

Aber immer, wenn das Rätsel gerade gelöst erscheint, kommt ein neuer Wahrheitsgrad zum Tragen. Nichts ist, wie es zunächst scheint. Wer hat wen getötet und warum? War es Rache, waren es Drogengeschäfte? Es gibt weitere Tote, das Militär erweist sich – nicht zum ersten Mal in der Filmgeschichte – als Sumpf aus Günstlingswirtschaft, Verschwörung, Korruption. Auch die Sanitätsärzte sind in üble Machenschaften verwickelt, die bis in die oberen Ränge hinaufreichen.

Mit jeder neuen Wendung des Drehbuchs schwindet das Vertrauen in die Wahrheitsfindung mehr, aber auch jedes Restinteresse an diesem Whodunit. Zu mechanisch das Skript, zu gewöhnlich die Bilder. Außerdem ist zur Halbzeit längst die Übersicht abhanden gekommen. Wer war noch mal wer? Namen werden getauscht, Identitäten oszillieren, Travolta grinst breit, Nielsen erinnert an eine verunsicherte Sharon Stone, Samuel L. Jackson hat Kurzauftritte in den Flashbacks der Verhörten. Jeder gibt das Seine, keiner das Besondere.

Am Ende überrascht nur das Fehlen der Moral. Gerissenheit triumphiert über edle Gesinnung. Immerhin, möchte man sagen. Aber „Basic“ ist ja auch kein Kriegsfilm, sondern ein Mystery-Thriller, der sich im Militärischen verlaufen hat. Freilich erfährt man hier weder etwas über die Militarisierung des Mysteriösen, noch über das Mysterium des Militärischen.

„Basic“, Regie: John McTiernan. Mit John Travolta, Samuel L. Jackson, Connie Nielsen, Giovanni Ribisi u. a., USA 2003, 98 Min.