Krähenfüße und Schwitzfleck

Allumfassende Vermarktung: David Bowie im Kino, bald weltweit in jedem Cineplex. Fanwünsche werden erfüllt

Es ist kein Konzert. Dafür sitzt man zu tief in den Sesseln, in den hinteren Reihen rascheln die Gäste mit Eimern voll Popcorn. Es ist auch kein Film. Dafür folgt der Abend zu wenig einer Dramaturgie, reiht vielmehr zwölf neue Songs aneinander, die David Bowie mit seiner seit der letztjährigen „Heathen“-CD festen Band in einer kleinen Londoner Fabrikhalle spielt, deren grobe Backsteinmauern etwas von der Atmosphäre alter „Musikladen“-Settings haben. Ganz sicher ist es aber ein weiterer Schritt in Richtung allumfassender Vermarktung: 22 Länder sind zugeschaltet bei der Premiere von „Reality“, dem Bowie-Album, das am 15. September erscheint.

Während in der Halle eine Hundertschaft Fans den Auftritt plus Frage-Antwort-Spiel live verfolgen darf, wird der Abend per Satellit simultan in 68 Kinos gesendet. Wegen des großen Andrangs sind es im Berliner Cinestar am Potsdamer Platz gleich zwei Säle. Bei entsprechend digitaler Aufrüstung könnte Bowies Promotion-Gag in weltweit jedem Cineplex-Kino mit Dolby-Surround-System stattfinden. Das wäre ein Millionengeschäft, den Großbild-Übertragungen zur Fußball-Weltmeisterschaft nicht unähnlich. So könnte sich die Zukunft des Pop abspielen: irgendwo zwischen Beckham und Bowie.

Nun ist Bowie bald doppelt so alt wie der britische Soccer-Star. Das sieht man von der ersten Nahaufnahme an: splissige Haare, graue Ringe unter den Augen. Krähenfüße in der Größe einer Schaufensterauslage. Larger than life, realer auch. Die spektakelhaft ums Event bemühte Präsentation hebt einiges von dem Glamour auf, der Bowie sonst umweht. Hier führt ein Mann Mitte fünfzig das aktuelle Produkt musikalischer Wertarbeit vor, mit der er die letzten 35 Jahre ein Unternehmen auf die Beine gestellt hat, das 1997 an die Börse gegangen ist. Technisch, präzise, modern.

Keine Rückkoppelungen stören den Auftritt. Durch unentwegt schwenkende Kameras und Schnitte im 4/4-Takt wird man gar nicht erst jenes visuellen Leerlaufs gewahr, der sich im Normalfall auf Konzerten einstellt. Hier wird jeden Moment um Aufmerksamkeit gebuhlt: Wenn einer der beiden Gitarristen ein wenig zu selbstvergessen ins Solo vertieft ist, wird eben wieder auf Bowies Gesicht rübergezappt oder ein Schwitzfleck auf seinem T-Shirt im Close-Up gezeigt.

Vielleicht ist es diese starre Formatierung, durch die der Abend in Routine abgleitet. Es gibt keine abrupten Brüche, keine begeisternden Wechsel von Balladendrama zu Rockhysterie. Auch die Songs sind kaum experimentierfreudig, Bowies kompositorische Finessen beschränken sich mittlerweile auf gut abgehangene Akkordfolgen in verminderten G- und C-Akkorden. Manchmal sägt und zerrt es noch wie zu Zeiten von „Heroes“ oder „Lodger“, aber das ist eher ein augenzwinkernder Verweis auf die Souveränität im Umgang mit dem Material. Dass das Konzert mit Oldies endet, hat das Publikum so gewollt. Seit Wochen konnte man im Bowie-Net seine Favoriten für eine Top-Five-Liste wählen. Seltsamerweise finden sich dort Stücke wie „Hang on to yourself“ aus der schwelgerischen Ziggy-Stardust-Phase unverbunden neben dem Eighties-Gassenhauer „Modern Love“ wieder – als Rundum-Fun auf Nachfrage. Die Feuerprobe für „Reality“ ist bestanden, die Aktie wird steigen. HARALD FRICKE