Lobbyismus mit geringem Erfolg

Ein Treffen zwischen den Gewerkschaftsbossen und dem Kanzler blieb ergebnislos. Schröder wollte kein klares Bekenntnis zum Flächentarifvertrag abgeben. Auch bei der Ausbildungsplatzabgabe blieb er vage. Gewerkschaften fürchten um ihren Einfluss

„Ein Versuch, die Grundlage von freien Gewerkschaften zu beseitigen“

aus Berlin ULRIKE HERRMANN

Die Unternehmen können beruhigt sein. Sie haben „eine letzte Frist“ bis Jahresende, um ausreichend Lehrstellen zu schaffen. Vorher soll keine Ausbildungsabgabe vorgeschrieben werden, wie Koalitionskreise gestern wissen ließen. Ende August fehlten etwa 113.000 Ausbildungsplätze.

Am Montagabend hatte Kanzler Schröder noch etwas entschiedener geklungen. Nach einem Treffen mit den Chefs der acht Einzelgewerkschaften hatte er im Kanzleramt verkündet, wie er sich „gesetzgeberisches Handeln“ auf dem Ausbildungsmarkt vorstellt: „Möglichst branchenspezifisch, möglichst unbürokratisch“ und mit „viel Gestaltungsfreiheit für die Tarifparteien“. Jedenfalls, so drohte er den Arbeitgebern, gelte die Agenda 2010 „in allen ihren Punkten und nicht nur in denen, die man sich aussucht“. Allerdings hatte sich Schröder auch am Montagabend schon gegen „Ultimaten“ ausgesprochen. Dennoch begrüßte DGB-Chef Sommer „die klare Aussage des Kanzlers“. Dies war ein Seitenhieb gegen Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD). Er hatte sich im Vorfeld klar gegen gesetzliche Regelungen ausgesprochen.

Ansonsten aber hatten die Gewerkschaften am Montagabend wenig Grund, sich über das zweistündige Treffen mit dem Kanzler zu freuen. So bekannte sich Schröder zwar zur „Beibehaltung des Flächentarifvertrags“, doch verstand er darunter flächendeckende Öffnungsklauseln. Die Tarifparteien müssten sich bewegen und „eine Regelung treffen, die gesetzlich umgesetzt werden kann“.

Diese Forderung hatte Schröder bereits in seiner Regierungserklärung vom 14. März erhoben, als er die Reformprojekte der Agenda 2010 vorstellte. Dennoch sind die Gewerkschaften alarmiert, dass der Kanzler diese Idee einer „betriebsnäheren Tarifpolitik“ ausgerechnet jetzt verfolgt. Denn aus ihrer Sicht ist das Schröder-Projekt kaum noch von einem Gesetzentwurf zu unterscheiden, den die Union in den Bundestag eingebracht hat. Sie will erreichen, dass Betriebsrat und Unternehmensleitung vom geltenden Tarifvertrag abweichen können, ohne dass Gewerkschaften oder Arbeitgeberverband zustimmen müssten. Diese „betrieblichen Bündnisse“ sind für DGB-Chef Sommer der „Versuch, die Existenzgrundlage von freien Gewerkschaften zu beseitigen“. Also hatten die Gewerkschaftsführer gehofft, dass sich der Kanzler eindeutig für die Tarifautonomie einsetzt – zumal es bereits viele tarifliche Öffnungsklauseln gibt. Genau dieses Schröder-Bekenntnis ist ausgeblieben. Stattdessen konstatierte der Kanzler kühl, dass die Gewerkschaften „nicht die Vorfeldorganisation der SPD“ seien.

In Gewerkschaftskreisen wird bereits befürchtet, dass sich Schröder im Herbst auf ein unangenehmes Tauschgeschäft einlässt: Die Union stimmt im Bundesrat den Arbeitsmarktreformen „Hartz III“ und „Hartz IV“ zu – und bekommt dafür eine leicht abgeschwächte Form der „betrieblichen Bündnisse“.

Sie will die Union über zwei Gesetzesänderungen ermöglichen. So möchte sie das „Günstigkeitsprinzip“ im Tarifvertragsgesetz erweitern. Bisher dürfen Betriebe vom Tarifvertrag nur abweichen, wenn der Beschäftigte davon klare Vorteile hat – also einen höheren Lohn erhält oder weniger arbeiten muss. Nun möchte die Union auch die „Beschäftigungsaussichten“ berücksichtigen. Wenn ein Betrieb in wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckt, dann soll es für die Arbeitnehmer als günstig gelten, auf Teile ihres Lohns zu verzichten, um die Firma zu retten. Der zweite Unionsvorschlag: Im Betriebsverfassungsgesetz wird ein Paragraf 88 a eingefügt, der Unternehmensleitungen und Betriebsräten erlaubt, eigenmächtig von Tarifverträgen abzuweichen.

Allerdings könnte es sein, dass die Union ein Gesetz vergessen hat, das sie ändern müsste: das Grundgesetz. Artikel 9 Absatz 3, schützt die Tarifautonomie. Der ehemalige Präsident des Bundesarbeitsgerichts, Thomas Dieterich, nennt daher die Unionspläne „verfassungswidrig“.